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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren
Autoren: Wolf Haas
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Panik! Sie haben auf die Kniebeuge verzichtet.
    Literaturbeilage Und auf das Kreuzzeichen.
    Wolf Haas Das weiß ich gar nicht. Ich könnte mir schon vorstellen, dass sie erst recht ein paar Kreuzzeichen geschlagen haben. Aber jedenfalls sind sie ziemlich geordnet hinausgedrängt. In umgekehrter Reihenfolge zur Hochzeitswichtigkeit sozusagen. Weil ja die wichtigsten Leute ganz vorne in der Kirche waren.
    Literaturbeilage Jetzt hatten jene aus den letzten Bankreihen plötzlich die bessere Position.
    Wolf Haas Die waren natürlich als Erste draußen, lange vor den Verwandten und vor dem Brautpaar. Und am besten haben es ungerechterweise jene gehabt, die gar nicht in der Kirche waren. Die Friedhofsteher sind als Erste den Berg hinaufgerannt. Hinter den Friedhofstehern sind schon die Stehplatz-Kirchgänger gekommen, die Halbherzigen, die sich im Eingangsbereich herumgedrückt haben, dahinter die Bekannten des Brautpaares aus den hintersten Bankreihen, dahinter die Freunde und die weitschichtig verwandten Hochzeitsgäste aus der Kirchenmitte.
    Literaturbeilage Und hinter denen erst die nahen Verwandten.
    Wolf Haas Die haben eine Ewigkeit gebraucht, bis sie sich aus den vordersten Reihen hinausgedrückt und bis zur Kirchentür und endlich ins Freie gekämpft haben. Hinter den Verwandten ist erst die eigentliche Familie gekommen, und hinter der engsten Familie erst die Trauzeugen, hinter den Trauzeugen erst das Brautpaar, und hinter dem Brautpaar erst der Pfarrer und die Ministranten.
    Literaturbeilage Und dann erst die armen Chorsänger.
    Wolf Haas Ja, die waren natürlich die Letzten. Die haben es von der Empore herunter am weitesten bis zum Ausgang, das ist klar.
    Literaturbeilage Im Gegensatz zu den Friedhofsleuten hatten die Leute aus der Kürche ja immer noch keine Ahnung, was eigentlich geschehen war.
    Wolf Haas Null! Erst als sie hinter den anderen her den steilen Weg zum Schmugglerlager hinaufgerannt sind, haben die gesehen, dass der Berg all die vergessenen Schmuggelgüter längst vergessener Jahre und Jahrzehnte ausgespien und im kilometerweiten Umkreis über die Wiesen und Felder gegossen hat.
    Literaturbeilage Lukki, das Alpha-Männchen, schafft es aber, sich trotz seiner schlechten Startposition an die Spitze der Menschenraupe vorzukämpfen.
    Wolf Haas Ich wollte ihn nicht unbedingt als AlphaMännchen hinstellen.
    Literaturbeilage Aber das kommt schon so rüber. Sie vergleichen ihn ja auch immer wieder mit Annis Vater.
    Wolf Haas Ja vielleicht. Aber er war eben auch Chef der Bergrettung.
    Literaturbeilage Wie Annis Vater.
    Wolf Haas Und als solcher musste er sich natürlich an die Spitze kämpfen, das war ja sein Job sozusagen.
    Literaturbeilage Glauben Sie, dass er auch als Einziger eine Ahnung hatte, wie es zu der Explosion gekommen war?
    Wolf Haas Nein, das glaub ich eher nicht. Lukki nicht. Anni vielleicht.
    Literaturbeilage Na klar, mit dem Spürterror!
    Wolf Haas Das lässt Ihnen keine Ruhe. Jedenfalls hat Lukki wahnsinnig konzentriert agiert. Er hat ja fast den ganzen Weg hinauf gebraucht, um sich an die Spitze der Prozession zu setzen. Bei der ersten Bank war er immer noch fast ganz hinten, bei der zweiten Bank erst im Mittelfeld. Weil alle so gerannt sind. Bergauf! Aber er war dann doch als Erster oben. Wenn er was geahnt hat, dann eben, dass es trotz der Verwüstung noch um Leben und Tod gehen könnte. Er hat herumgebrüllt: Vorsicht! Vorsicht! Vorsicht! Damit die Leute nicht zu nahe an den Krater herangehen.
    Literaturbeilage Er hat ja auch schon, bevor er ganz dort war, gesagt: Da muss jemand unten sein.
    Wolf Haas Das auf jeden Fall. Aber ich glaube nicht, dass er dabei an Kowalski gedacht hat.
    Literaturbeilage Als er am Kraterrand steht, sind Luk-kis erste Worte: „Vielleicht lebt er noch!"
    Wolf Haas Ja schon. Aber das war nur so ein allgemeines „er". So redet man eben. Es ist ihm nur darum gegangen, dass man prinzipiell mit Überlebenden rechnen muss. Obwohl es wirklich absolut nicht danach ausschaut. Trotzdem agiert er so, wie er es gelernt hat. Dass man bei Verschüttungen eben immer auch gegen den Augenschein mit Überlebenden rechnen muss. Er fängt auch sofort an, Klopfzeichen zu geben. Tock tock tock. Literaturbeilage An dieser Stelle bricht Ihre Erzählung ziemlich unvermittelt ab.
    Wolf Haas So kann man das nicht sagen. Das Ende steht ja am Anfang, wie gesagt. Vittorio Kowalski erwacht im Krankenhaus, kriegt endlich den ersten Kuss von Anni. Auf den er fünfzehn Jahre hingearbeitet
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