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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen
Autoren: dtv
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abzweigte. Dieser erwies sich als Sackgasse und führte zu einem kreisrunden Dorfplatz, indessen Mitte sich eine mächtige, weitverzweigte Eiche erhob. Rings um den Platz gruppierten sich weitere Häuser, sämtliche Giebel dem Mittelpunkt zugewandt.
    Lea rief sich das wenige ins Gedächtnis, das sie im Internet über Verchow herausgefunden hatte: Der Ort hatte kaum dreihundert Einwohner, und die eigentümliche Anlage der Gebäude, »Rundling« genannt, ging auf mittelalterliche Siedlungen in der Region zurück. Rundlinge waren Sehenswürdigkeiten, lebendige Überreste uralter ländlicher Kultur. Freilich machte der Ort keinen bäuerlichen Eindruck, was die Vermutung nahelegte, dass die Einwohner die aparte Anordnung der Gebäude lediglich aus Tradition beibehalten hatten, vielleicht sogar dem Tourismus zuliebe. Sämtliche Häuser waren entweder geschmackvoll renoviert oder historisch anmutende Neubauten, die sich mit ihrem hübschen Fachwerk ohne Stilbruch in die idyllische Atmosphäre des Dorfes fügten. Nur ein einziges Haus war von Ställen und anderen Nebengebäuden umgeben, die auf einen Landwirtschaftsbetrieb hindeuteten.
    Von dem runden Dorfplatz zweigten sternförmig mehrere Sackgassen ab. Lea wählte aufs Geratewohl die erste, holperte fünfzig Meter über einen Kiesweg und erreichte einen Wendehammer. Eine Katze, die den offenen Platz als Sonnenterrasse genutzt hatte, sprang davon. Lea stoppte den Wagen, stieg aus, atmete in tiefen Zügen die ungewohnte Landluft ein, die leicht nach Dung und Kiefernnadeln roch, und blickte sich um.
    ZIMMER FREI stand auf einem Schild neben einer hübschen, schmiedeeisernen Gartenpforte.
    Na bitte
, dachte Lea.
Man wartet schon auf mich.
    Rasch griff sie nach ihrer Reisetasche, schloss den Wagen ab und öffnete die Pforte. Sie quietschte leise in den Angeln und gab den Weg in einen malerischen Garten frei – keinenVorstadtgarten mit sauber gemähtem Rasen, sondern eine wild wuchernde Wiese, übersät von Klee und Löwenzahn. Zu beiden Seiten des Plattenwegs, der zu einem zweistöckigen Fachwerkhaus führte, blühten Rosen.
    Lea stieg zwei Steinstufen zur Haustür hinauf, die über einen altmodischen Klopfer in Form eines Eisenrings verfügte, scheute sich jedoch, ihn zu benutzen, und war froh, als sie eine Klingel fand. ZIRNER stand auf dem Türschild daneben.
    Gedämpft hörte Lea aus dem Innern des Hauses die Glocke. Eine längere Stille folgte, dann knarrten die Stufen einer Treppe, und Schritte näherten sich.
    Ein Mann, etwa fünfunddreißig Jahre alt, groß und schlank, mit gebräuntem Gesicht und leicht gelichteten Schläfen, öffnete die Tür. Hinter einer randlosen Designerbrille strahlten stahlblaue Augen. Er sah geradezu unverschämt gut aus, wie Lea fand. Sie schluckte und musste sich einen Moment auf ihr Anliegen besinnen.
    »Guten Tag«, brachte sie schließlich verlegen hervor. »Ich komme wegen des Zimmers.«
    Der Mann lächelte und zeigte dabei strahlend weiße Zähne.
    »Hallo! Ich bin Kai Zirner.«
    Sein Händedruck war ebenso fest wie seine Stimme.
    »Lea Petersen«, erwiderte Lea.
    »Willkommen in Verchow! Treten Sie ein.«
    Mit galanter Geste hielt er die Tür auf, während Lea in einen Flur trat, der sauber mit Holzdielen gedeckt war.
    »Verzeihen Sie«, sagte ihr Gastgeber, »aber ich kümmere mich nur vertretungsweise um die Vermietung und bin nicht ganz im Bilde   … hatten Sie angerufen?«
    »Nein«, gab Lea zu. »Ich bin spontan vorbeigekommen und habe das Schild gesehen.«
    »Ach so.« Kai Zirner lächelte, ging ihr voraus durch denFlur und öffnete eine Seitentür. »Dann schauen Sie doch erst einmal, ob es Ihnen gefällt.«
    Lea folgte ihm in einen Raum, der einer ganzen Familie Platz geboten hätte und geschmackvoll mit wenigen funktionellen Möbelstücken ausgestattet war, einschließlich einer kleinen Küchenzeile. Eine breite Glasfront gab den Blick auf eine Terrasse und den rückwärtigen Teil des Gartens frei. Auf einem Glastisch stand eine Vase mit duftenden weißen Rosen.
    »Das Bad«, sagte der Gastgeber und öffnete eine Tür zur Linken, »und hier: das Schlafzimmer« Er machte eine weitere Tür auf.
    »Ich bin sprachlos! Auf dem Schild war die Rede von einem Zimmer«, sagte Lea. »Das ist ja eine richtige Ferienwohnung.«
    Kai Zirner nickte. »Sicherlich für eine einzelne Person recht groß   …, aber wenn es Ihnen gefällt?«
    »Sehr«, antwortete Lea und nickte nachdrücklich. »Ich hoffe, es ist nicht zu
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