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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure
Autoren: Iny Lorentz
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und grinste.
    »Los, ihr Zossen! Die Herrin will heute in der Rheinsoberner Vogtsburg schlafen!«
    Die beiden Tiere legten sich stärker ins Geschirr, und das Schiff wurde merklich schneller. Da sich außer dem Schiffer und seinen Knechten nur Marie, Anni, Michi und zwei Bewaffnete an Bord befanden, die Michel Marie zum Schutz mitgegeben hatte, lag die Barke hoch im Wasser, und die Pferde holten rasch einen tief im Wasser liegenden Prahm ein, dessen Gäule sich sichtlich schwerer taten. Die Leute des anderen Bootes dachten nicht daran, den schnelleren Kahn vorbeizulassen, doch das großzügige Trinkgeld und die Aussicht auf mehr stachelten Maries Schiffer an. Er steuerte das Boot weiter auf den Rhein hinaus, um Abstand von dem Prahm zu gewinnen, und dann hoben seine Knechte die Zugseile mit ihren Stangen hoch, während der Treidelknecht die Stelle nutzte, an der keine Weiden und Erlen am Ufer standen, um an den Pferden des anderen Treidelzugs vorbeizutraben.
    Der Steuerer des überholten Frachtschiffs schimpfte wie einRohrspatz, denn er hatte eine tiefe Verbeugung machen müssen, um nicht von dem über sein Boot schwingenden Treidelseil von Bord gerissen zu werden. »Dafür setzt es heute Abend Prügel!«, drohte er Maries Schiffer.
    Dieser winkte mit einem unflätigen Fluch ab, doch Marie warf den Männern auf dem überholten Schiff mehrere kleine Münzen zu. »Trinkt lieber einen Becher Wein auf meine Gesundheit!« Dann ließen sie den schweren Prahm hinter sich zurück.
    Der Schiffer der Barke wandte sich nun sichtlich zufrieden an Marie. »Jetzt werden wir Rheinsobern rechtzeitig erreichen. Sollen wir dort auf Euch warten?«
    Marie wollte nicht allzu lange bei Hiltrud bleiben, sagte sich aber, dass es dem Schiffer und seinen Leuten wohl kaum gefallen würde, zwei bis drei Wochen nutzlos in Rheinsobern herumzulungern. »Es steht dir frei, neue Passagiere oder Fracht aufzunehmen. Doch solltest du innerhalb einer Monatsfrist wieder nach Rheinsobern kommen, lass es mich wissen. Zu dieser Zeit will ich rheinabwärts reisen.«
    »Wohl, wohl!« Der Schiffer überlegte, wie er es einrichten könnte, rechtzeitig zur Stelle zu sein. Die Dame hatte sich als ebenso freundlich wie großzügig erwiesen, und es war ihm lieber, solche Passagiere zu befördern, als sich mit schweren Kisten und Fässern abzuplagen.
    Sie passierten den letzten Ort vor ihrem Ziel, dann grüßten die Rheinsoberner Türme von dem Höhenzug jenseits des Hochufers zu ihnen herüber. Während Marie die Stadt, in der sie fast zehn Jahre ihres Lebens verbracht hatte, mit gemischten Gefühlen betrachtete, konnte Michi es kaum erwarten, an Land zu kommen. Er brannte darauf, seine Eltern und Geschwister wiederzusehen und ihnen die feinen Kleider vorzuführen, die er jetzt tragen durfte. Seine hellgrünen Strumpfhosen schmiegten sich eng an die Beine, und sein rotes Wams war aus gutem Stoff genäht und mit hübschen Stickereien versehen. Sein ganzer Stolzwaren jedoch die weichen, spitz zulaufenden Schuhe und das rote, mit einer echten Reiherfeder geschmückte Barett, welches auch das Haupt eines Edelmanns hätte zieren können.
    Anni hatte ihn wegen dieser farbigen Pracht bereits geneckt, denn neben ihm wirkte sie in ihrem strengen Gewand wie ein grauer Schatten. Anders als andere Adelsdamen hätte Marie ihr durchaus erlaubt, eine gefälligere Farbe zu tragen, doch das Mädchen zog die unauffällige Kleidung einer höheren Dienstmagd jedem Schmuck und Putz vor. Das mochte ein Nachhall des Grauens sein, das Anni durchlitten hatte, denn sie war die einzige Überlebende eines Hussitenüberfalls auf ihr Heimatdorf gewesen und hatte es nur Maries fürsorglicher Pflege zu verdanken, dass sie überhaupt noch am Leben war.
    Marie hatte sich für die Reise so bequem wie möglich gekleidet und trug nun einen weiten blauen Rock, ein weinrotes Mieder und gegen die Kühle der Nacht eine Wolljacke, die ihr ihre tschechische Wirtschafterin Zdenka gestrickt hatte. Als Kopfbedeckung diente ihr ein Strohhut, wie ihn die Frauen in ihrer neuen Heimat bei der Arbeit in den Weinbergen trugen und der sie besser vor der Sonne schützte als jene Haube mit Schleierbesatz, die ihrem Stand als Ehefrau eines freien Reichsritters angemessen gewesen wäre.
    Kurz bevor es dämmerte, erreichten sie den kleinen Hafen von Rheinsobern. Der Treidelknecht führte seine Pferde so, dass das Schiff vom eigenen Schwung getrieben erst vor der hölzernen Pier langsamer wurde, und wand die nun
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