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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs
Autoren: John Boyne
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Und würdest du mir bitte das Bad einlassen. Ich stehe gleich auf.«
    Â»Schon, Ma’am?«, fragte Sophie verblüfft, denn für gewöhnlich blieb ihre Herrin noch etwas länger im Bett, ehe sie sich erhob und der profanen Welt gegenübertrat.
    Â»Ja. Heute Morgen werde ich den Richter zum Old Bailey begleiten, deshalb beeilen wir uns ein bisschen.«
    Â»Jawohl, Ma’am.« Sophie stürzte aus dem Raum und lief hinauf zum Badezimmer.
    Â»Du kommst mit zum Gericht?«, fragte Roderick, als sie wieder allein waren. »Du willst bei dem Urteilsspruch dabei sein?«
    Â»Das habe ich gestern Abend beschlossen«, erwiderte Jane. »Du glaubst doch nicht, das ließe ich mir entgehen, oder? Ich werde dir ein wenig Beistand leisten. Damit du weißt, dass du in diesem kalten Gerichtssaal nicht allein bist. Außerdem wird jeder da sein.«
    Â»Es wird aber nicht jeder eingelassen«, entgegnete Roderick gereizt. »Es gibt gar nicht genügend Platz für jeden .«
    Â»Für die Ehefrau des Richters dürfte es ja wohl einen Platz geben.« Jane stellte ihr Tablett mit dem Rest des Frühstücks zur Seite. »Wie spät ist es überhaupt?«
    Â»Zehn nach neun«, antwortete Roderick und wusste nicht, ob der Gedanke an seine Frau im Gerichtssaal ihm schmeicheln oder ihn nervös machen sollte. Sie zog die Aufmerksamkeit der Reporter auf sich und schien es zu genießen, wenn sie deren Fragen wie ein geübter Kricketspieler parierte.
    Â»O je«, sagte sie, »ich muss mich beeilen. Wann brichst du auf? Gegen zehn?«
    Â»Ja.«
    Â»Aber nicht ohne mich«, betonte sie.
    Roderick nickte und sah zu, wie seine Frau das Bett verließ, an den Kleiderschrank trat und ihren Morgenmantel hervorholte. Selbst jetzt, nach all den Jahren, konnte er den Blick nur schwer von ihr abwenden. Nicht nur deshalb, weil er damals, als sie sich kennenlernten, in puncto Frauen unerfahren gewesen war, oder weil sie ihm für mehr als zweieinhalb Jahrzehnte das sinnliche Leben geboten hatte, das er sich zuvor nie als Teil seines Daseins hätte erträumen können; sondern auch, weil sie die Art von Frau war, die mit den Jahren immer attraktiver wurde und ihm jedem Tag neues Glück bescherte. Bei dem Gedanken, an ihrer Seite zu sein, mit ihr zusammen das Gerichtsgebäude Old Bailey zu betreten, fühlte er sich wie ein junger Mann, der seine erste Liebe erlebt. Alles an ihr beflügelte ihn. Er liebte sie.
    In jungen Jahren war Janes Haar ein hübsches Blond gewesen. Jetzt in ihren Vierzigern war der Glanz ein wenig verblasst, doch dadurch schien sie nur noch erfahrener, vielschichtiger, attraktiver. Vor Kurzem hatte sie ihr langes Haar auf Schulterlänge schneiden lassen, ein mutiger Entschluss, der Wunder gewirkt hatte. Dennoch gehörte Jane Bentley nicht zu den Frauen, die vorhatten, ihr Alter zu kaschieren. Er wusste, dass sie jetzt ebenso sinnlich wie in den Zwanzigern oder Dreißigern sein konnte, sogar noch mehr, wenn sie es wollte. Ihre aristokratische Haltung hatte sie über die Jahre perfektioniert, und dumme Menschen waren ihr zuwider.
    Â»Was ist?«, fragte sie, drehte sich um und erkannte, dass ihr Mann sie anstarrte. »Was hast du?«
    Â»Nichts«, erwiderte Roderick kopfschüttelnd. »Du bist eine schöne Frau, Jane. Ist dir das bewusst?«
    Sie öffnete den Mund, wollte eine witzige Bemerkung machen, doch dann sah sie, dass es ihm ernst war.
    Ein Gefühl der Zuneigung durchflutete sie, eine aufschießende Welle der Wertschätzung. Damals, vor all den Jahren, hatte sie gut gewählt, gar keine Frage. Was wäre, wenn sie einen netten, anständigen Mann, den sie nicht liebte, geheiratet hätte, oder – zunehmend elend – die ledige Tochter einer Familie geblieben wäre, deren Tage des Wohlstands längst vergangen waren? Nein, sie hatte keine großen Schwierigkeiten gehabt, ihre Entscheidung zu treffen. Und auf seine Bemerkung musste sie tatsächlich keine Antwort geben. Es war ein aufrichtiges Kompliment gewesen, und sie entschied, es als solches entgegenzunehmen.
    Als sie am Bett vorbeikam, nahm sie die Times auf, warf einen Blick auf die Schlagzeile und hielt sie ihrem Mann hin, der die Augen schloss.
    Â»Morgen wird der Fisch damit verpackt«, sagte er.
    Â» Heute königliches Urteil «, las sie vor. » Von Bentley wird Nachsicht erwartet .«
    Roderick schüttelte den Kopf.
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