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Das Ungeheuer

Titel: Das Ungeheuer
Autoren: Robin Cook
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leise, aber Marsha küßte den Jungen und sagte, wenn VJ erst ein bißchen älter wäre, würde er genauso fein riechen wie David.
    Sie nahm dem Kindermädchen das Baby ab und ging ins Haus. Janice seufzte. So ein glücklicher Tag. Sie liebte neugeborene Babys. David griff nach ihrer Hand. Sie schaute auf den Jungen hinunter. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und blickte zu ihr auf.
    »Ich wünschte, das Baby wäre nicht gekommen«, stellte er fest.
    »Ssch«, sagte Janice sanft und drückte David an ihre Seite.
    »Das ist nicht nett. Er ist ein kleines Baby, und du bist schon ein großer Junge.«
    Hand in Hand gingen sie ins Haus, als Marsha und Victor gerade im frisch tapezierten Säuglingszimmer oben an der Treppe verschwanden. Janice nahm David mit in die Küche; sie war bei den Vorbereitungen für das Abendessen. Er kletterte auf einen der Küchenstühle und setzte seinen Teddy auf den Stuhl gegenüber. Janice trat ans Spülbecken.
    »Wen hast du lieber, mich oder das Baby?«
    Janice legte das Gemüse, das sie eben waschen wollte, aus der Hand und nahm David auf den Arm. Sie berührte mit ihrer Stirn die seine und sagte: »Ich habe dich lieber als irgend jemanden sonst auf der Welt.« Dann drückte sie ihn heftig an sich, und David erwiderte den Druck.
    Keiner der beiden wußte, daß sie nur noch ein paar Jahre zu leben hatten.

1
    19. März 1989
    Sonntag, spätnachmittags
    Lange, spitzenzarte Schatten von den blattlosen Ahornbäumen längs der Zufahrt krochen über den weiten, kopfsteingepflasterten Hof, der die ausgedehnte weiße Kolonialvilla von der Scheune trennte. Mit der Dämmerung war Wind aufgekommen; er hatte die Schatten in wellenförmige Bewegung versetzt und sie aussehen lassen wie riesige Spinnennetze. Dem Umstand zum Trotz, daß es offiziell bald Frühling war, hielt der Winter das Land in North Andover, Massachusetts, noch fest im Griff.
    Marsha stand an der Spüle in ihrer großen Landhausküche und schaute hinaus in den Garten und das verblassende Licht. Eine Bewegung in der Zufahrt erregte ihre Aufmerksamkeit; sie drehte sich um und sah, wie VJ auf seinem Fahrrad nach Hause gestrampelt kam.
    Eine Sekunde lang stockte ihr der Atem. Seit Davids Tod vor beinahe fünf Jahren hatte sie ihre Familie nie mehr als Selbstverständlichkeit hingenommen. Nie würde sie den schrecklichen Tag vergessen, an dem der Arzt ihr gesagt hatte, daß die Gelbsucht des Jungen auf Krebs zurückzuführen sei. Sein Gesicht, gelb und welk von der Krankheit, hatte sich in ihr Herz eingeprägt. Noch immer fühlte sie den kleinen Körper, wie er sich an sie klammerte, kurz bevor er starb. Sie war sicher gewesen, daß er ihr noch etwas mitteilen wollte, aber sie hatte nur sein mühsames Keuchen gehört, während er versucht hatte, das Leben festzuhalten.
    Eigentlich war seitdem nichts mehr so wie vorher gewesen. Und nur ein Jahr später war alles noch schlimmer geworden. Marshas extreme Sorge um VJ rührte zum Teil aus dem Verlust Davids, zum Teil aber auch aus den schrecklichen Umständen, unter denen Janice nur ein Jahr später gestorben war. Beide hatten sich eine extrem seltene Form von Leberkrebs zugezogen, und allen Zusicherungen zum Trotz, daß die beiden Krebserkrankungen in keiner Weise ansteckend sein könnten, vermochte Marsha die Befürchtung nicht abzuschütteln, daß der Blitz, der nun zweimal eingeschlagen hatte, noch ein drittes Mal niederfahren könne.
    Janices Tod hatte sich um so mehr eingeprägt, weil er so grauenvoll gewesen war.
    Es war im Herbst gewesen, kurz nach VJs Geburtstag. Die Blätter fielen von den Bäumen, und eine herbstliche Kälte lag in der Luft. Schon bevor sie krank wurde, hatte Janice sich eine Zeitlang seltsam verhalten; sie hatte nur noch Speisen zu sich nehmen wollen, die sie selbst zubereitet hatte und die aus bis dahin ungeöffneten Behältern stammten. Sie hatte eine inbrünstige Religiosität entwickelt und sich einer besonders fanatischen Sekte von »wiedergeborenen Christen« angeschlossen. Marsha und Victor hätten das alles auf die Dauer vielleicht nicht hingenommen, wenn sie in den vielen Jahren, die sie schon bei ihnen arbeitete, nicht praktisch ein Mitglied der Familie geworden wäre.
    In Davids letzten, kritischen Monaten war sie ein Geschenk des Himmels gewesen. Aber kurz nach Davids Tod fing sie an, ihre Bibel überall bei sich zu tragen und sie an die Brust zu drücken, als könne sie sich damit vor unsagbaren Fährnissen schützen. Beiseite legte sie sie nur
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