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Das Tal der Angst

Das Tal der Angst

Titel: Das Tal der Angst
Autoren: Arthur Conan Doyle
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verdiente. Holmes’ Miene erhellte sich, und er rieb sich die dünnen Hände, während er den spärlichen, aber bemerkenswerten Einzelheiten lauschte. Hinter uns lag eine lange Reihe unersprießlicher Wochen, und hier bot sich endlich wieder einmal ein angemessenes Objekt für jene bemerkenswerten Fähigkeiten, die, wie jede Spezialbegabung, ihrem Besitzer zur Last werden, solange sie brachliegen. Bei längerer Untätigkeit stumpfte dieser rasiermesserscharfe Verstand ab und rostete vor sich hin. Dagegen glitzerten Sherlock Holmes’ Augen, die bleichen Wangen nahmen einen wärmeren Farbton an, und sein ganzes gespanntes Gesicht erstrahlte von einem inneren Feuer, wenn ihn der Lockruf der Arbeit erreichte. Während der Fahrt im Wagen lauschte er vornübergebeugt und aufmerksam MacDonalds kurzer Skizzierung des Problems, das uns in Sussex erwartete. Der Inspektor seinerseits war, wie er uns erklärte, angewiesen auf einen hingekritzelten Bericht, der ihm in den frühen Morgenstunden mit dem Milchzug zugesandt worden war. Mit White Mason, dem für die Grafschaft zuständigen Kriminalbeamten, verband ihn eine persönliche Freundschaft, und daher war MacDonald sehr viel schneller in Kenntnis gesetzt worden, als dies bei Scotland Yard der Brauch ist, wenn man dessen Hilfe in der Provinz benötigt. In allgemeinen verfolgt der aus der Metropole herbeigerufene Experte eine schon reichlich kalte Spur.
    »Lieber Inspektor MacDonald«, begann der Brief, den er uns vorlas, »der offizielle Antrag auf Ihren Einsatz befindet sich im separaten Umschlag. Das hier ist für Sie persönlich. Geben Sie mir telegraphisch Nachricht, welchen Zug nach Birlstone Sie heute vormittag nehmen können; ich hole Sie dann ab – oder lasse Sie abholen, falls ich zu beschäftigt sein sollte. Der Fall ist ein Knaller. Verlieren Sie keinen Augenblick, und machen Sie sich auf den Weg. Wenn Sie können, bringen Sie bitte Mr. Holmes mit, er wird hier nämlich was finden, das ganz nach seinem Geschmack ist. Man könnte meinen, das Ganze sei eine effektvoll gestellte Szene fürs Theater, wenn es da nicht mittendrin einen Toten gäbe. Ich sag’s Ihnen, wirklich ein Knaller!«
    »Ihr Freund scheint kein Dummkopf zu sein«, bemerkte Holmes.
    »Nein, Sir; White Mason ist sehr auf Draht, wenn ich nicht ganz danebenliege.«
    »Schön, haben Sie noch etwas?«
    »Nur, daß er uns alle Einzelheiten am Treffpunkt mitteilen wird.«
    »Wie haben Sie dann von Mr. Douglas erfahren und der Tatsache, daß er auf schreckliche Weise ermordet worden ist?«
    »Das steht im beigefügten offiziellen Bericht. Natürlich ohne den Zusatz ›auf schreckliche Weise‹. Das ist kein amtlich gültiger Ausdruck. Der Bericht gibt den Namen John Douglas an. Er meldet, daß sein Schädel Verletzungen aufweist, die vom Schuß einer Schrotflinte stammen. Ferner gibt er den Zeitpunkt an, zu dem Alarm geschlagen wurde: kurz vor Mitternacht. Und er fügt noch hinzu, daß es sich zweifellos um einen Mordfall handelt, daß aber bisher noch keine Festnahme erfolgt ist und daß dieser Fall einige sehr verwirrende und außergewöhnliche Merkmale aufweist. Das ist absolut alles, was wir momentan haben, Mr. Holmes.«
    »Dann wollen wir es, mit Ihrer Erlaubnis, dabei belassen, Mr. Mac. Die Versuchung, aufgrund unzulänglicher Daten vorschnelle Theorien aufzustellen, ist der Fluch unseres Berufes. Vorläufig sehe ich nur zweierlei mit Gewißheit: ein großes Gehirn in London und einen toten Mann in Sussex. Die Verbindung dazwischen, die werden wir aufspüren.«
3. Die Tragödie von Birlstone
    Und nun bitte ich um die Erlaubnis, meine unbedeutende Person einen Augenblick lang auszuklammern und die Ereignisse, die sich vor unserer Ankunft am Schauplatz abgespielt haben, im Licht unserer späteren Erkenntnisse zu schildern. Denn nur so kann ich dem Leser zu einer richtigen Vorstellung von den beteiligten Personen sowie der bizarren Kulisse, vor der ihr Schicksal seinen Lauf nahm, verhelfen.
    Das Dorf Birlstone besteht aus einer kleinen Gruppe sehr alter Fachwerkhäuser an der Nordgrenze der Grafschaft Sussex. Jahrhundertelang war es unverändert geblieben, aber während der letzten paar Jahre haben sein pittoreskes Erscheinungsbild und seine Lage eine Anzahl wohlhabender Leute angelockt, die sich hier niederließen und deren Villen aus den umliegenden Wäldern hervorlugen. Geographisch darf man diese Wälder noch zum äußersten Zipfel des großen Weald-Forstes 13 zählen, der sich gegen die
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