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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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hatte. Aber selbst im chaotischen Trubel meiner Gefühle kam mir diese Erklärung fadenscheinig vor. Nein. Dies war mein Wohnhaus. Hier wohnte ich. Und ich musste endlich aus dem Wagen steigen und herausfinden, wer ich war.
    Der Schmerz trat nach der ersten Belastung des Beines ein. Wie ein Blitz zog sich das Brennen durch den Oberschenkel und jeder Versuch, den Schmerz zu ignorieren, scheiterte.
    Ich humpelte die Straße entlang und bog in Richtung Hauseingang ein. Über der doppelflüg el igen Tür war ein grüner Baldachin angebracht. In großen weißen Lettern strahlte Hillman in der Vormittagssonne. Darunter stand 538 E Grand Street . Rechts vor dem Eingang befand sich ein Verschlag in der Grünfläche. Eine Portierloge, in deren Seitenfenster sich die Statur eines Mannes abzeichnete. Auf dem Kopf eine Schirmmütze. Der Portier schob das Frontfenster nach oben und streckte den Kopf nach außen.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er mit aufgesetzter Höflichkeit, die vermutlich Teil seines Job-Profils war. Ich schüttelte den Kopf. »Mister Reynolds?«
    Ich nickte und sah ein breites Lächeln im Gesicht des Portiers. »Mister Reynolds«, wiederholte er. »Ich habe Sie nicht gleich erkannt. Wohl einen starken Einsatz gehabt?«
    »Ja. Sehr stark.« Ich deutete auf meinen Oberschenkel, während ich auf die Portierloge zuhumpelte. »Arbeitsunfall«, erklärte ich. Nur mit Mühe konnte ich meine Lippen nötigen, etwas Ähnliches wie ein Lächeln zu formen.
    »Sieht schlimm aus«, meinte der Portier und schüttelte den Kopf. »Ich mache Ihnen auf«, fügte er hinzu und drückte auf eine Taste an der Holzwand des Verschlages. Ein kurzes Knacken war von der Eingangstür zu vernehmen.
    »Danke«, sagte ich und nickte dem Mann zu.
    »Werden Sie schnell wieder gesund!«, rief mir der Portier nach. »New York City braucht Sie!«
    Ich hob kurz die Hand und drückte die Tür nach innen.
    Kalte Luft empfing mich in einem Gang, der nach etwa fünf Metern nach links abzweigte. Eine Reihe von Türen zog sich den schwach beleuchteten Korridor entlang. Neben jeder einzelnen war ein Schild montiert, auf dem groß Hillman aufgedruckt war. Darunter befand sich jeweils ein Name. Firmennamen.
    Ich erhoffte Hinweis e bezüglich Stockwerk und Türnummer auf dem Wohnungsschlüssel und holte den Schlüsselbund aus meiner Hosentasche. Neben dem Wagenschlüssel befanden sich noch fünf weitere auf dem Ring. Der Appartementschlüssel war schnell gefunden. Er trug als einziger die Aufschrift Hillman . Darunter stand: 10 und App. 3 . 10 musste für das Stockwerk stehen, 3 für die Nummer meines Appartement s .
    Ich humpelte den Gang entlang. Ein leises Klingeln beantwortete meine Frage nach dem Fahrstuhl. Schnelle Schritte hallten im Korridor. Ein Mädchen, geschätzte fünfundzwanzig Jahre alt, bog um die Ecke und begann zu lächeln. Sie trug einen grauen Jogging-Anzug und Sportschuhe. Das lange , schwarze Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
    »Hi Jack!«, rief sie. »Alles klar?« Sie lief schnell an mir vorbei und strich mit der Hand über meine Schulter.
    »Hi!«, rief ich zurück. »Klar ist alles klar!« Ich blickte ihr nach und sah sie noch winken, bevor sie in Richtung Ausgang verschwand. Es handelte sich zwar nicht um meine Frau, aber allem Anschein nach musste sie mich mögen. Ich war also keiner dieser anonymen Einsiedler, die einsam in einem Miethaus starben und erst nach Wochen aufgrund des Verwesungsgeruches entdeckt wurden. Diese Erkenntnis beruhigte mich.
    Nach einem Knarren, das im Korridor laut hallte, schnappte die Lifttür hinter mir ins Schloss. Rechts zogen sich Wohnungstüren den Gang entlang. Mit jedem humpelnden Schritt beschleunigte mein Puls. Als ich vor der Wohnungstür stand, raste mein Herz und mit dem Drehen des Schlüssels begann die Welt zu verschwimmen. Ein Klacken. Dann war die Tür entriegelt .
    Ich atmete tief durch und drückte das Türblatt in den Raum.
    »Hallo?«, rief ich und horchte. Kein »Jack?«. Kein »Daddy?«. Nichts. Nur ein muffiger Geruch gepaart mit einer leicht ätzenden Note strömte mir entgege n. Ich betrat das Appartement, b emühte mich, möglichst wenig Geräusche zu machen, obwohl ich mir einredete, dass dies meine Wohnung war und ich dieses seltsame Drücken in der Magengegend nicht zu haben brauchte. Dennoch hatte ich das Gefühl, nicht hier sein zu dürfen. Ich f ühlte mich wie ein Einbrecher, der kurz davor stand, auf frischer Tat ertappt zu werden.
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