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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
Autoren: Irvin D. Yalom
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gewesen war, vielleicht weil die Juristen in Nürnberg den Vorteil hatten, die Resultate der IQ-Tests des amerikanischen Psychologen Lieutenant G. M. Gilbert zu kennen. Mit einem IQ von 124 bewegte sich Rosenberg unter den einundzwanzig Angeklagten im Mittelfeld. (Julius Streicher, der Herausgeber der Lieblingszeitung Hitlers, rangierte mit einem IQ von 106 an letzter Stelle.) Obwohl Rosenberg sein einstudiertes, überlegenes Grinsen beibehielt, konnte er niemanden mehr glauben machen, er verfolge tiefere Gedanken, als sie verstehen konnten.
    Der amerikanische Chefankläger und Richter am Obersten Gerichtshof der USA , Robert H. Jackson sagte: »Es war Rosenberg, der geistige Prister der ›Herrenrasse‹, der die Lehre des Hasses schuf, die den Anstoß zur Vernichtung des Judentums gab, und der seine gottlosen Theorien gegen die besetzten Ostgebiete in die Tat umsetzte. Seine verschwommene Philosophie fügte zur umfangreichen Liste der Greueltaten der Nazis noch die Langweile hinzu.«
    In seinen gesammelten Briefen enthüllte Thomas Dodd, amerikanischer Ankläger (und Vater des Senators Christopher Dodd), seine Gefühle über Rosenberg: »Zwei weitere Tage sind vorüber. Heute Vormittag nahm ich Alfred Rosenberg ins Kreuzverhör, und ich glaube, es ist mir recht gut gelungen … Er war äußerst schwierig zu verhören – der Inbegriff eines sich ständig windenden, lügenden Schlaumeiers. Ich kann ihn wirklich nicht leiden – er ist ein solcher Blender, ein so ausgewachsener Heuchler.«
    Sir David Maxwell, der Chefankläger der Briten, bemerkte, dass der einzige vorgelegte Beweis die Behauptung ist, dass Rosenberg keiner Fliege etwas zuleide tun würde und dass die Zeugen sahen, dass er keiner Fliege etwas zuleide tat. Rosenberg sei ein Meister des Euphemismus, ein bürokratischer Pedant, dessen endlos scheinenden Sätze sich schlängelten, ineinander verflochten und wie zu lange gekochte Spaghetti aneinander kleben blieben.
    Und das Schlussplädoyer des russischen Chefanklägers, General Rudenko, endete mit folgenden Worten: »Wie sehr … Rosenberg … sich auch bemühen mag, historische Tatsachen und Ereignisse zu verfälschen, so wenig kann er ableugnen, der offizielle Ideologe der nationalsozialistischen Partei gewesen zu sein und bereits vor einem Vierteljahrhundert die ›theoretischen‹ Grundlagen des faschistischen Hitler-Reiches, welche im Laufe dieser Zeitspanne Millionen von Deutschen moralisch zersetzten, gegründet und dabei ›ideologisch‹ jene in der Geschichte einmaligen unmenschlichen Verbrechen der Hitleristen … vorbereitet zu haben.«
    Rosenberg hatte nur eine einzige wirksame Verteidigung – dass seine Nazi-Kollegen ihn nie ernst genommen hatten und dass alle Strategien, die er für die besetzten Ostgebiete vorschlug, in Bausch und Bogen ignoriert worden waren. Aber seine allzu aufgeblasene Vorstellung von seinem eigenen Wert erlaubte es ihm nicht, seine eigene Bedeutungslosigkeit öffentlich einzugestehen. Stattdessen verlegte er sich darauf, Stunde um Stunde mit immer neuen Ausweichmanövern herumzumäandern. Wie ein Beobachter in Nürnberg es ausdrückte: »Das, was er sagte, konnte man ebenso wenig greifen wie eine Hand voll Wolken.«
    Anders als die anderen Angeklagten widerrief Rosenberg niemals. Am Ende blieb er der einzige wahre Überzeugte. Niemals distanzierte er sich von Hitler und seiner Rassenideologie. »… ich habe in Adolf Hitler keinen Tyrannen gesehen«, sagte Rosenberg vor Gericht aus, »sondern habe, wie viele Millionen Nationalsozialisten, ihm persönlich vertraut auf Grund der Erfahrungen eines vierzehnjährigen Kampfes … Adolf Hitler habe ich mit Loyalität gedient, und was von der Partei geschehen ist in diesen Jahren, das wurde von mir auch unterstützt.« In einem Gespräch mit einem anderen Angeklagten verteidigte er Hitler sogar noch nachdrücklicher: »Auch wenn ich mir alles noch so oft durch den Kopf gehen lasse, kann ich noch immer nicht glauben, dass der Charakter dieses Mannes auch nur den geringsten Makel aufwies.« Er beharrte weiterhin auf der Richtigkeit seiner Ideologie: «Was mich in den letzten fünfundzwanzig Jahren motivierte, war der Gedanke, nicht nur dem deutschen Volke dienen zu wollen, sondern ganz Europa – eigentlich der ganzen weißen Rasse.« Und kurz vor seinem Tod drückte er die Hoffnung aus, dass die Idee des Nationalsozialismus niemals vergessen und von einer neuen Generation, gestählt durch Leiden, wiedergeboren werde. Der
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