Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
Autoren: Irvin D. Yalom
Vom Netzwerk:
waren auf dem Weg zur Synagoge, nur einer nicht. Nachdem er die Tür seines Ladens verschlossen hatte, blieb Bento an der Türschwelle stehen, warf einen langen Blick auf den Strom seiner jüdischen Mitbrüder, atmete tief ein, tauchte in die Menge ein und strebte in die entgegengesetzte Richtung. Er vermied den Blick der Entgegenkommenden und flüsterte sich beschwichtigende Worte zu, um seine Unsicherheit zu beruhigen: Niemand kennt mich, niemand beachtet mich. Es ist ein gutes Gewissen, worauf es ankommt, nicht ein schlechter Ruf. Ich habe das schon so oft getan. Aber die schwachen Waffen der Vernunft prallten an seinem hämmernden Herzen ab. Dann versuchte er, die Außenwelt auszuschalten, sich in sich selbst zu vertiefen und damit abzulenken, dass er über dieses sonderbare Duell zwischen Vernunft und Gefühl staunte, ein Duell, in dem die Vernunft immer unterlag.
    Als die Menschenmenge sich lichtete, schlenderte er entspannter weiter, bog an der Straße, die an der Koningsgracht West entlangführte, links ab und steuerte auf das Haus und die Schule Franciscus van den Endens zu, des genialen Lehrers für Latein und klassische Geschichte.
    Obwohl das Zusammentreffen mit Jacob und Franco schon bemerkenswert gewesen war, so war es einige Monate zuvor zu einer noch denkwürdigeren Begegnung im Laden von Spinoza gekommen, als Franciscus van den Enden zum ersten Mal das Geschäft betreten hatte. Während Spinoza seinen Weg fortsetzte, schwelgte er in der Erinnerung dieses Zusammentreffens. Die Einzelheiten hafteten vollkommen klar in seinem Gedächtnis.
    Am Vorabend des Sabbat setzt bereits die Dämmerung ein, als ein würdevoller, formell gekleideter Mann mittleren Alters in vornehmer Haltung sein Handelsgeschäft betritt, um die Waren zu begutachten. Bento ist zu sehr mit seinen Eintragungen in seinem Kassenbuch beschäftigt, um die Ankunft seines Kunden zu bemerken. Schließlich hüstelt van den Enden höflich, um auf sich aufmerksam zu machen, und bemerkt dann energisch, aber nicht unfreundlich: »Junger Mann, wir sind doch nicht zu beschäftigt, um einen Kunden zu bedienen, wie?«
    Bento lässt seinen Stift mitten im Wort fallen und springt auf. »Zu beschäftigt? Wohl kaum, mein Herr. Sie sind heute mein allererster Kunde. Bitte entschuldigen Sie meine Unaufmerksamkeit. Womit kann ich Ihnen dienen?«
    »Ich hätte gern einen Liter Wein und – abhängig vom Preis – vielleicht ein Kilogramm dieser verhutzelten Rosinen da in der unteren Kiste.«
    Während Bento ein Bleigewicht auf die eine Schale der Waage legt und die Rosinen mit einer abgenutzten, hölzernen Kelle auf die andere schaufelt, bis beide Schalen im Gleichgewicht schweben, fügt van den Enden hinzu: »Aber ich habe Sie beim Schreiben gestört. Was für ein erfrischendes und ungewöhnliches – nein, mehr als ungewöhnliches, ja geradezu einzigartiges – Erlebnis, in ein Geschäft zu treten und auf einen jungen Angestellten zu stoßen, der so mit Schreiben beschäftigt ist, dass er nicht einmal einen Kunden bemerkt. Als Lehrer erlebe ich normalerweise genau das Gegenteil. Ich stoße auf Schüler, die nicht schreiben und nicht denken, obwohl sie es tun sollten.«
    »Die Geschäfte laufen schlecht«, antwortet Bento. »Und so sitze ich Stunde um Stunde hier und habe nichts zu tun außer zu denken und zu schreiben.«
    Der Kunde deutet auf Spinozas Kassenbuch, das immer noch auf der Seite aufgeschlagen ist, die er gerade beschrieben hat. »Lassen Sie mich eine Vermutung darüber wagen, was Sie da aufschreiben. Die Geschäfte laufen schlecht, und so machen Sie sich zweifellos Sorgen über das Schicksal Ihres Inventars. Sie vermerken in Ihrem Kassenbuch die Ausgaben und Einnahmen, stellen ein Budget auf und listen mögliche Lösungen. Richtig?«
    Mit rotem Kopf dreht Bento sein Journal um und legt es mit dem Rücken nach oben auf den Tisch.
    »Sie brauchen nichts vor mir zu verbergen, junger Mann. Ich bin ein Meisterspion und kann Geheimnisse für mich behalten. Und auch ich denke verbotene Gedanken. Darüber hinaus bin ich Lehrer für Rhetorik von Beruf und könnte Ihre Niederschriften mit ziemlicher Sicherheit verbessern.«
    Spinoza hält ihm sein Journal zum Lesen hin und fragt verschmitzt lächelnd: »Wie gut ist Ihr Portugiesisch, mein Herr?«
    »Portugiesisch! Jetzt haben Sie mich aber erwischt, junger Mann. Holländisch ja, Französisch, Englisch, Deutsch ebenfalls ja und auch Latein und Griechisch. Ein eingeschränktes Ja sogar bei Spanisch und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher