Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das schoenste Geschenk

Das schoenste Geschenk

Titel: Das schoenste Geschenk
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
ihn an. Abrupt ließ Victor die Hand sinken.
    Sharon räusperte sich. Hastig stieß sie die Schlafzimmertür auf, während sie sich um Fassung bemühte. »Dies war das Schlafzimmer meiner Großmutter«, sagte sie und fuhr sich nervös mit den Fingern durchs Haar. »Der Fußboden sieht ziemlich verkommen aus. Deshalb möchte ich ihn abziehen.« Erleichtert atmete sie auf. Ihr Pulsschlag normalisierte sich allmählich. »Meine Großmutter hielt nichts von Neuerungen«, erklärte sie. »An diesem Zimmer ist in den dreißig Jahren seit dem Tod ihres Mannes nichts verändert worden. Die Fenster klemmen, das Dach ist undicht, und der Kamin zieht nicht. Außer kleineren Reparaturen ist an diesem Haus nie etwas getan worden.«
    »Wann ist Ihre Großmutter gestorben?«, fragte Victor.
    »Vor drei Monaten.« Sharon hob den Rand der Patchworkdecke hoch, die über dem Bett lag, und ließ ihn wieder fallen. »Sie ist einfach eines Morgens nicht mehr aufgewacht. Ich hatte einen Sommerkursus an meiner Schule übernommen und konnte erst jetzt zurückkommen.«
    Ihre Worte verrieten, dass sie Schuldgefühle hatte. »Hätten Sie denn etwas ändern können, wenn Sie hier gewesen wären?«, fragte er.
    »Nein.« Sharon ging zum Fenster. »Aber dann wäre sie nicht allein gestorben.«
    Victor wollte etwas sagen, unterließ es dann aber. Wie sie so vor dem Fenster stand, wirkte sie sehr klein und schutzlos. »Was soll mit den Wänden geschehen?«, erkundigte er sich.
    »Was?« Abwesend drehte Sharon sich zu ihm um.
    »Die Wände«, wiederholte er. »Möchten Sie welche herausreißen?«
    Sekundenlang schaute sie mit verlorenem Blick auf die verblichene Tapete. »Nein … nein«, wiederholte sie dann mit etwas festerer Stimme. »Aber ich will den Türrahmen verbreitern.«
    Prüfend besah sich Victor die Türöffnung. »Ist das eine tragende Wand?«
    Sharon verzog das Gesicht. »Ich habe keine Ahnung. Woher soll …«
    Ein Klopfen an der Haustür unterbrach sie. »Wer kann denn das sein? Schauen Sie sich doch am besten selbst hier oben um. Ich bin gleich wieder da.« Mit diesen Worten rannte sie die Treppe hinunter.
    Wortlos nahm Victor einen Zollstock aus seiner Tasche und maß die Schlafzimmertür aus.
    Kaum hatte Sharon die Haustür geöffnet, da schwand ihr freundliches Lächeln. »Carl«, sagte sie gedehnt.
    Tadelnd blickte ihr Besucher sie an. »Willst du mich nicht hereinbitten?«, fragte er vorwurfsvoll.
    »Oh, natürlich.« Zögernd trat Sharon zur Seite. Vorsichtig schloss sie die Tür, machte aber keine Anstalten, ins Wohnzimmer zu gehen. »Wie geht es dir, Carl?«, fragte sie höflich.
    »Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet.«
    Natürlich, wie soll es ihm auch sonst gehen?, dachte Sharon verärgert. Carl Trainer junior ging es immer gut. Seine Stimmung war ebenso untadelig wie seine ganze Erscheinung. Und nach der dezenten Eleganz seines Anzugs zu urteilen, schien er es inzwischen auch zu Wohlstand gebracht zu haben.
    »Und dir, Sharon?«
    »Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet.« Sie wusste, dass ihm der Sarkasmus ihrer Worte überhaupt nicht auffallen würde.
    »Es tut mir leid, dass ich dich nicht schon letzte Woche besucht habe. Ich hatte es mir fest vorgenommen, aber mein Geschäft ließ mir keine Zeit dazu.«
    »Die Geschäfte gehen also gut?«, fragte sie ohne das geringste Interesse. Doch auch ihre Gleichgültigkeit entging ihm.
    »Die Leute geben wieder mehr Geld aus.« Er rückte seine Krawatte zurecht. »Der Immobilienmarkt sieht vielversprechend aus, besonders hier auf dem Land.«
    Geld steht also immer noch an erster Stelle, dachte Sharon. »Und wie geht es deinem Vater?«, erkundigte sie sich.
    »Gut. Er zieht sich langsam aus dem Geschäft zurück. Du solltest ihn einmal besuchen.« Er hielt einen Moment inne, als hätte er ihr eine wichtige Mitteilung zu machen. »Du lässt dich jetzt also hier nieder«, bemerkte er dann beiläufig.
    Sharon beobachtete, wie er seinen Blick über ihre Umzugskisten schweifen ließ. »Ja«, sagte sie knapp.
    »Weißt du, Sharon, dieses Haus befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Aber dafür ist seine Lage erstklassig.« Sein Lächeln wirkte etwas herablassend. »Ich bin sicher, du könntest einen guten Preis dafür erzielen.«
    »Ich bin an einem Verkauf nicht interessiert, Carl. Ist das der Grund deines Kommens? Willst du mein Haus schätzen?«
    Auf seinen Zügen malte sich angemessene Bestürzung. »Aber Sharon!«
    »Irgendeinen Grund muss dein Besuch doch haben«, sagte Sharon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher