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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition)
Autoren: Eowyn Ivey
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gutmütiger Mann zu sein und verhielt sich immer so, als wären sie seit langem Freunde. Sie waren ungefähr gleich alt.
    «Wie geht’s bei dir voran?», fragte George, als er sich ihm gegenübersetzte.
    «Wird schon.»
    «Hast du Hilfe da draußen?»
    «Nein. Bin allein zugange. Habe ein, zwei gute Felder gerodet. Gäbe immer noch mehr zu tun. Du kennst das ja.»
    «Wir sollten uns ab und zu gegenseitig aushelfen – ich und meine Söhne kommen mit unseren Zugpferden zu dir, und ein andermal gehst du uns zur Hand.»
    «Das ist ein großzügiges Angebot.»
    «Wir könnten dir helfen, ein paar Dinge zu erledigen», fuhr George fort, «und deine Frau könnte rüberkommen und mit Esther quatschen, von Frau zu Frau, übers Backen oder Nähen oder was sie sonst zu bekakeln haben. Esther hat uns Männer manchmal satt. Sie wäre begeistert, wenn ihr kämt.»
    Jack sagte weder ja noch nein.
    «Eure Kinder sind alle erwachsen und aus dem Haus?», fragte George.
    Das hatte Jack nicht erwartet. Er und Mabel waren schon so alt, nicht wahr, dass sie erwachsene Kinder mit eigener Familie haben könnten. Er fragte sich, ob ihm anzusehen war, wie er sich fühlte: als hätte ihm jemand ein Bein gestellt.
    «Nein. Wir haben keine.»
    «Wie bitte? Ihr habt keine, sagst du?»
    «Nein.»
    Er musterte George. Wenn man sagte, man habe keine Kinder, hörte sich das nach einer freien Entscheidung an, und das wäre ein ausgemachter Blödsinn. Wenn man sagte, dass man keine haben konnte, erzeugte man Verlegenheit, und die Leute bezweifelten die Zeugungskraft des Mannes oder die Gesundheit seiner Frau.
    Jack wartete und schluckte.
    «So lässt sich’s auch leben, nehme ich an.» George schüttelte kichernd den Kopf. «Geht bei euch bestimmt viel leiser zu. Manchmal treiben mich meine Jungs in den Suff. Streiten pausenlos, und wenn sie sich morgens aus dem Bett quälen, sehen sie aus, als hätten die Pocken sie erwischt. Den jüngsten zum Arbeiten zu kriegen, ist so leicht wie ein Ringkampf mit ’nem Wildschwein.»
    Jack lachte befreit und trank einen Schluck Kaffee.
    «Ich hatte einen Bruder, der war auch so. Es war fast bequemer, ihn einfach schlafen zu lassen.»
    «Ja, so sind sie manchmal, zumindest, bis sie einen eigenen Hof haben und kapieren, worum es geht.»
    Betty kam mit einer Tasse und einem Stück Kuchen für George an den Tisch.
    «Ich hab Jack eben erzählt, dass sie im Bergwerk Arbeiter suchen», sagte sie, als sie heißen Kaffee einschenkte. «Weißt du, damit sie durch den Winter kommen.»
    George hob die Augenbrauen, runzelte dann die Stirn, sprach aber nicht, bis Betty wieder in die Küche gegangen war.
    «Das machst du nicht, oder?»
    «Ist immerhin ’ne Überlegung wert.»
    «Gütiger Himmel. Hast du den Verstand verloren? Du und ich, wir sind keine Jungspunde mehr, und die Dreckslöcher da oben sind allenfalls was für junge Männer.»
    Jack nickte, das Gespräch war ihm unangenehm.
    «Es geht mich ja verdammt noch mal nichts an, aber du scheinst ein netter Kerl zu sein», fuhr George fort. «Weißt du, warum sie Leute suchen?»
    «Nee.»
    «Sie haben Mühe, die Leute zu halten, seit es dort vor ein paar Jahren gebrannt hat. Vierzehn Mann tot. Manche so schlimm verkohlt, dass man sie nicht mehr unterscheiden konnte. Sechs von ihnen hat man nie gefunden. Ich sag dir, Jack, es lohnt die paar Kröten nicht, die sie dir bezahlen würden.»
    «Das sehe ich schon ein, aber … ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Ich weiß einfach nicht, wie ich’s schaffen soll.»
    «Du musst bis zur Ernte durchkommen? Saatgeld fürs Frühjahr hast du?»
    Jack lächelte gequält. «Wenn wir nicht von Zeit zu Zeit etwas essen müssten.»
    «Du hast Säcke mit Möhren und Kartoffeln eingelagert, oder?»
    «Sicher.»
    «Hast du dir schon einen Elch erlegt?»
    Jack schüttelte den Kopf. «Bin nie ein großer Jäger gewesen.»
    «Ach was – das ist doch keine große Sache. Häng dir ein bisschen Fleisch in den Stall, und ihr seid bis zum Frühjahr versorgt, du und deine Frau. Schmeckt nicht gerade wie Kuchen oder Kaviar, aber ihr müsst nicht hungern.»
    Jack blickte in seine leere Kaffeetasse.
    «So geht es den meisten von uns», sagte George. «Die ersten Jahre sind mager. Ich sag dir, danach habt ihr Elchfleisch und Kartoffeln vielleicht über, aber ihr kommt über die Runden.»
    «Stimmt schon.»
    Als sei alles besiegelt, verzehrte George mit wenigen großen Bissen den Rest seines Kuchenstücks, wischte sich mit der Serviette den Mund ab
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