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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman
Autoren: Maja Ilisch
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mich weit hinaus und trank mit jedem Atemzug diese ungewohnte, wundervoll frische Luft ein, als hinter mir das Dienstmädchen hüstelte – ihre erste echte Reaktion auf mich. Nicht viel, aber immerhin. Sally hatte mich in mein Zimmer geführt, ohne auch nur ein Wort zu sagen, und weiterhin vermieden, mich auch nur anzusehen. Aber ich wollte deswegen nicht schlecht von ihr denken. Es war eine Frage des Status, in so einem Haushalt noch viel mehr als in einem Waisenhaus, und wenn noch nicht einmal ich wusste, wo genau ich in Hollyhock stand, wie sollte es dann Sally wissen? Nachher war ich doch nur der Fußabtreter, und wenn sie mich dann ehrfürchtig mit Miss anredete, hätte sie sich doch zum Gespött ihrer Mitstreiterinnen gemacht. Aber wenn sie mich hingegen schäbig behandelte, oder auch nur wie ihresgleichen, und es stellte sich heraus, dass ich doch so etwas wie eine adoptierte Tochter war, konnte sie gleich ihr Köfferchen packen und in Schande zurück zur Mutter ziehen.
    Ich nahm ihr also nicht übel, dass sie mich nicht ansah, aber für den Fall, dass sie zumindest aus den Augenwinkeln zu mir hinüberschielen sollte, versuchte ich wenigstens, immer freundlich zu lächeln. Ich kannte Sally nicht, aber ich hatte mich mit 60 Waisenmädchen arrangiert, ohne diejenige zu sein, der man böse Streiche spielte, und wenn ich hier eine Verbündete brauchen sollte – wovon ich lieber einmal ausging –, sollte ich besser damit anfangen, mich mit den Untersten im Haus gut zu stellen.
    So zog ich schnell den Kopf wieder aus dem Fenster und drehte mich zu Sally um. »Entschuldigung«, sagte ich, »ich wollte dich nicht aufhalten.« Fast lag mir auf der Zunge, ihr zu erzählen, dass ich aus einem Waisenhaus kam und noch nie ein eigenes Zimmer besessen hatte, aber das ging sie alles vorerst noch nichts an. Lächeln war eine Sache, aber wenn ich wollte, dass sie mich auch ernst nahm, sollte ich mich nicht wie ein völliger Trottel, der noch nie ein Haus gesehen hatte, aufführen.
    Sally nickte, schon weil ihr das die Möglichkeit gab, wieder zu Boden zu blicken und nicht in mein Gesicht. Ich hielt sie für zwei oder drei Jahre älter als ich, und sie war genau das, was ich nicht sein wollte – aber es war ihr Leben, und vielleicht war sie auch ganz zufrieden damit. Ich hatte ja keine Ahnung davon, ob die Diener der Molyneux’ gut oder schlecht behandelt wurden. Zumindest hatten sie keine sichtbaren Striemen.
    »Im Schrank sind Kleider. Der Master und die Mistress wünschen, dass … dass Sie eines davon anziehen und dann wieder hinunterkommen.« Ich sah, wie sie sich auf die Lippe biss. Die Frage, wie sie mich anreden sollte, war eine gravierende Entscheidung für sie – ich konnte ihr ja schlecht sagen, dass es mir ziemlich egal war. »Werden Sie Hilfe benötigen?«
    Ich zwinkerte verdutzt. »Hilfe?« Meinte sie, beim Ankleiden? Vorschnell schüttelte ich den Kopf. »Nein danke, ich komme schon allein zurecht.« Ich hatte kein Problem damit, mich vor anderen Mädchen umzuziehen, aber die Vorstellung, das nicht alleine zu können, war mir peinlich. Zu spät fiel mir ein, dass ich vielleicht vorher besser nachgeschaut hätte, um was für Kleider es überhaupt ging. Wenn ein Korsett dazugehörte, war ich aufgeschmissen. Außerdem hätte ich dann ein bisschen vertrauter mit Sally werden können – aber da war sie schon zur Tür hinaus, augenscheinlich froh, von mir wegzukommen, und ich war allein mit meinem Zimmer, mit mir und meinen neuen Kleidern.
    Als ich mich anschickte, mich umzuziehen, fiel mir auf, dass ich mein Zimmer nicht abschließen konnte, es gab weder einen Riegel an der Tür noch einen Schlüssel auf dieser oder jener Seite des Schlüsselloches. Zwar war ich nicht so ängstlich veranlagt, dass ich mich um jeden Preis hätte einschließen wollen, aber wenn ausgerechnet Mr. Molyneux hereinkommen sollte, während ich in meinem Unterrock dastand, oder schlimmer noch, völlig unfähig mit einem Korsett kämpfte, wäre das doch nicht sehr begrüßenswert. Keinen Schlüssel zu besitzen von einer Tür, die man grundsätzlich abschließen konnte, brachte außerdem die Gefahr mit sich, von anderen eingeschlossen zu werden. Natürlich war ich an so etwas gewöhnt: In St. Margaret’s wurden die Schlafsäle allabendlich abgesperrt, sobald alle Mädchen drin waren, aber da war man zumindest nicht alleine gefangen, und wir wussten ja auch mit Sicherheit, dass wir am anderen Morgen wieder freigelassen wurden.
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