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Das Mönchskraut

Das Mönchskraut

Titel: Das Mönchskraut
Autoren: Ellis Peters
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Burschen im Kreuzgang singen hören, wo er ein Gebet des Heiligen Augustus abschreiben sollte, und zwar ein weltliches Lied von skandalösem Inhalt. Es handelte sich hierbei um die Klage eines christlichen Pilgers, der von den Sarazenen gefangengehalten wurde und sich tröstete, indem er das Hemd, das ihm seine Liebste zum Abschied geschenkt hatte, an die Brust drückte.
    Bruder Cadfaels Müdigkeit verflog. Er erinnerte sich gut an dieses schöne, ergreifende Lied, denn auch er hatte an jenem Kreuzzug teilgenommen. Er kannte das Land der Sarazenen, das peinigende Licht und Dunkel der Gefängnisse - und auch die Sehnsucht, die man dort verspürte. Nun sah er, wie Bruder Jerome in heiliger Entrüstung die Augen schloß, nachdem ein so intimes weibliches Kleidungsstück erwähnt worden war, und von krampfhaften Zuckungen geschüttelt wurde.
    Wahrscheinlich, weil er einer Frau noch nie nahe genug gekommen ist, um ihr Hemd zu berühren, dachte Bruder Cadfael, der eher zur Milde gegenüber dem jungen Sünder neigte. Entsetzen bebte durch die Reihen einiger alter unschuldiger Brüder, die ihr ganzes Leben im Kloster verbracht hatten und einen Teil der Schöpfungsgeschichte als verbotenes Buch betrachteten. Cadfael meldete sich zu Wort, was im Kapitelsaal nur selten vorkam, und fragte sanft, wie sich der Bursche verteidigt hätte.
    »Er sagte«, berichtete Bruder Paul, »er hätte das Lied von seinem Großvater gelernt, der bei der Eroberung Jerusalems für das Kreuz gekämpft hatte. Und er fände das Lied so schön, daß es ihm heilig erschien. Denn der Pilger, der es gesungen hätte, wäre weder ein Mönch noch ein Soldat gewesen, sondern ein ganz gewöhnlicher Mensch, der die lange Reise aus Liebe unternommen hätte.«
    »Aus guter, heiliger Liebe«, betonte Bruder Cadfael und gebrauchte Worte, die ihm ganz natürlich erschienen, denn er hielt die Liebe für eine Kraft, die sich selbst heiligte und keiner Entschuldigung bedurfte. »Läßt das Lied erkennen, daß die Liebste, von der er sich getrennt hatte, nicht seine Gattin gewesen wäre? Ich denke nicht. Und die Melodie ist bemerkenswert schön. Sicher ist es nicht die Aufgabe unseres Ordens, das Sakrament der Ehe zu verurteilen und jene zu verachten, die nicht unter dem Zwang des Zölibats stehen. Ich glaube nicht, daß dieser junge Mann etwas Schlimmes verbrochen hat. Vielleicht sollte der Bruder Kantor prüfen, ob er eine schöne Singstimme hat. Die Menschen, die bei der Arbeit singen, fühlen zumeist den Drang, ein gottgegebenes Talent zu nutzen.«
    Der verwirrte Kantor, dem nicht allzu viele Sänger zur Verfügung standen, erklärte sofort, daß er den Novizen gern singen hören würde. Prior Robert zog die strengen Brauen zusammen und rümpfte die aristokratische Nase. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er den Sünder hart bestraft. Doch der Novizenmeister war kein Verfechter erbarmungsloser disziplinarischer Maßnahmen, und jetzt schien er sich zu freuen, weil das Vergehen seines Schülers einem guten Zweck dienen würde. »Er war stets eifrig und lernwillig, Vater Abt, und ist erst seit kurzer Zeit bei uns. In konzentrierten Augenblicken kommt es öfter vor, daß man sich vergißt. Und seine Abschriften sind sauber und sorgfältig gemacht.«
    Der Sänger kam mit einer geringfügigen Strafe davon, die ihn nicht einmal so lange auf den Knien festhalten würde, daß er sich steifbeinig erheben mußte. Abt Heribert neigte stets zur Milde, und an diesem Morgen wirkte er noch zerstreuter als sonst. Die Besprechung der Alltagsprobleme näherte sich dem Ende. Plötzlich erhob sich der Abt, als wollte er die Sitzung schließen.
    »Da wären noch ein paar Dokumente zu siegeln«, verkündete Bruder Matthew, der Kellermeister, und raschelte hastig mit seinen Pergamenten, denn er hatte das Gefühl, daß der Bruder Abt mit seinen Gedanken ganz woanders war und seine Pflichten aus den Augen verloren hatte. »Es geht um die Lehensfarm Haies und um Walter Aylwins Übertragung, auch um die Vereinbarung mit unseren künftigen Gästen Gervase Bonel und seiner Frau, denen wir das erste Haus hinter dem Mühlenteich zuweisen wollen. Master Bonel möchte so bald wie möglich einziehen, noch vor Weihnachten ...«
    »Ja, ja, das habe ich nicht vergessen.« In würdevoller Resignation stand Abt Heribert vor ihnen, ein Pergament in den Händen. »Ich muß euch allen etwas mitteilen. Diese wichtigen Dokumente können heute nicht gesiegelt werden, aus einleuchtenden Gründen. Es wäre
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