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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen
Autoren: Kathi Appelt
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würde? Wenn sie bis zu Punkt G käme und Punkt H nicht mehr lesen könnte? Oder wenn sie die Punkte B und P überspringen würde? Das würde alles vermasseln!
    Und so starrte Mirja in den nächsten Stunden auf das Blatt aus ihrem Notizbuch und prägte sich ihren Plan ein, Schritt für Schritt: A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S–Z.
    Und um ganz sicherzugehen, lernte sie alle Schritte auch noch rückwärts.
    Für alle Fälle.
    18 Und jetzt, viele Stunden später, saß Mirja hier im Boot, das Blatt aus ihrem Notizbuch in der Gesäßtasche ihrer Shorts, und setzte ihren perfekten Plan in die Tat um. So weit, so gut. Die Punkte A bis C hatten ihr keine Schwierigkeiten bereitet. Als sie und BF vor kaum einer Stunde auf Zehen- und Pfotenspitzen aus der Hintertür geschlüpft waren, hatte BF keinen Ton von sich gegeben. Irgendwie hatte er es sogar geschafft, nicht mit den Krallen auf den Fliesen zu klacken.
    Draußen war er still wie eine Sumpfmaus neben Mirja über den Rasen getrabt und auf den Holzbohlen des Anlegers ganz vorsichtig aufgetreten, um kein Geräusch zu machen. Und so leichtfüßig, wie eine Stechmücke auf der Haut landet, war er ins Boot gesprungen. Dogies Boot. Der Flitzer .
    Mirja hatte keine offizielle Erlaubnis, Dogies Boot zu benutzen. „Schon in Ordnung“, sagte sie zu BF . „Wir sind wieder zurück, ehe Dogie wach wird.“ Sie wusste, dass Dogie früh aufstand, um den Bus rechtzeitig zu öffnen, bevor die Surfer kamen und sich ein Brett ausleihen oder Wachs kaufen wollten. Surfer waren Frühaufsteher. Das war Mirja bekannt.
    Wenn ihr Plan so funktionierte, wie sie sich die Sache vorstellte, würde Dogie niemals erfahren, dass sie sich das Boot ausgeliehen hatte.
    Apropos Plan: Nur gut, dass sie alle Punkte auswendig gelernt hatte, denn in der Dunkelheit hätte sie den Zettel ja niemals lesen können! Puh! Kluge Entscheidung, würde Signe sagen.
    Mirja schaute zum östlichen Horizont. „Wo bleibt bloß der Mond?“, fragte sie den sternengespickten Himmel.
    „Wuff!“, antwortete BF . Wenn BF den Mond für sie finden könnte, dann würde er das tun, da war sich Mirja sicher. Er würde ihn einfach aus dem Himmel buddeln und ihn ihr bringen.
    Wie Mirja so dasaß, hörte sie zum ersten Mal das Geräusch der rollenden Wellen auf der anderen Seite der Sanddünen. Es war ein stetiges Dröhnen. Wie kam es, dass sie das noch nie wahrgenommen hatte, obwohl es immer da war?
    Und wo zum Donnerwetter blieb der Mond? Aber genau in dem Augenblick erhob sich eine Brise und säuselte um ihren Kopf. Und da, auf dem Rücken des Windes, hörte sie es: Mirja. Mirja . Sie packte die Seiten des Bootes mit beiden Händen.
    „Hörst du das?“, fragte sie BF . Der Hund setzte sich auf und spitzte die Ohren. Der Wind, so dünn wie Papier, glitt ein zweites Mal vorbei.
    Der Name, den ihre Mutter vor sieben Jahren zum letzten Mal gerufen hatte, bevor sie davongeschwommen war. Seitdem hatte Mirja nichts mehr von Meggie Marie gehört, kein Wort, nicht ein einziges Wort. Sie neigte sich dem Klang entgegen. Mirja. Mirja .
    Doch dann verschwand die Brise, so schnell sie gekommen war, und ließ nur ihren Namen zurück.
    19 Die Küste von Texas verläuft halbkreisförmig, wie ein großer Regenbogen, der das Salzwasser des Golfs von Mexiko umarmt. Im Wasser tummeln sich Rotbarsche und Zitteraale, Seelachse und Lederkorallen, Quallen und Flundern. Hier, zwischen Galveston im Norden und Corpus Christi im Süden, am Fuß eines mit Salzgras bewachsenen Feuchtgebiets, liegt ein schmaler Streifen Strand, ruhig und abgeschieden. Nur eine enge Straße aus zerbröselten Muschelschalen, die etwa zehn Meilen weiter landeinwärts in einer winzigen Stadt namens Tater ihren Anfang nimmt, führt hierher.
    Aber lange bevor Tater entstand, vielleicht vor fünfzigtausend oder vor hunderttausend Jahren, vielleicht aber auch schon vor einer Million Jahren, baute sich eine Austernfamilie etwa hundert Meter vor der Küste ein Heim. Es war ein sehr schöner Platz für die kleine Austernfamilie. Die Wassertemperatur war genau richtig, der Meeresboden war fest und die Wellen sanft. Schon bald verbreitete sich die Nachricht von diesem Platz in der Austernwelt, und es dauerte nicht lange, da wurde aus dem kleinen Heim eine große Siedlung. Jahr für Jahr kamen weitere Austern und fügten ihre Schalen den älteren hinzu, sodass die Siedlung zu einer Austernbank heranwuchs, die immer breiter, dicker und höher wurde. Die Wellen schoben
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