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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
Autoren: Ulrich Wickert
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mir das nicht vorstellen.«
    »Nein. Er ist ja auch nicht der Mörder. Er ist der Auftraggeber. Und das wäre nicht das erste Mal. Ich weiß nicht, wer es für ihn macht. Aber ich könnte es vielleicht rausfinden. Außer Ronsard und mir wusste niemand, dass Mohammed um neun Uhr an diese Stelle des Waldes kommen würde. Aber sein Mörder wusste es. Und da ich den Mörder nicht bestellt habe, war es Ronsard. Und Ronsard hat ein gutes Motiv. Ich nicht. Er wollte sich des Erpressers entledigen. Das ist ihm gelungen. Nun hat er auch noch die letzte Zeugin umbringen lassen.«
    Georges Hariri lehnte sich für einen Moment zurück, ehe er weitersprach.
    »Ich fürchte inzwischen, Ronsard ist ein Wahnsinniger. Wenn er damit durchkommt, ist er in fünf Jahren wirklich Präsident. Und wen alles lässt er dann von seinem Geheimdienst eliminieren? Der Mord an Kalila war der eine zu viel. Aber das verstehen Sie nicht. Meine Frau bekommt keine Kinder. Vielleicht weil sie als junge Frau einen Eingriff erleiden musste. Ich habe Kalila immer wie eine Tochter beschenkt, und wir mochten uns sehr. Ein liebes Mädchen. Sechs Jahre alt. Vor ihren Eltern taten wir immer so, als hätten wir ein besonderes Geheimnis. Wenn sie mich sah, sprang sie hoch und fiel mir um den Hals. Nein, Monsieur Ronsard, jetzt nehmen Sie den Fahrstuhl zum Schafott.«
    Hariri ging sein Geständnis noch einmal sorgfältig durch. Er setzte das Datum darunter und den Namen Georges Hariri.
    »Jetzt lesen Sie das, unterschreiben es und bringen es Untersuchungsrichter Ricou.«
    Als der Polizist das Zimmer verlassen hatte, humpelte Hariri mit seinem Gipsbein zur Tür und verriegelte sie. Dann ging er ins Badezimmer, schloss sich ein und schnitt sich die Pulsadern auf.

Ein Wochenende in Honfleur
    Z wei Wochen später. Freitag, am Morgen.
    Um neun Uhr kaufte Jacques am Kiosk von Nicolas und Valérie die Zeitungen. Die Schlagzeilen über seinen Fall waren inzwischen von neuen Dramen überlagert worden. Präsident Hollande hatte eine neue Freundin.
    »Oh, Monsieur le Juge verreist«, sagte Valérie. »Aber nicht lange, vermute ich, das Gepäck reicht gerade für ein Wochenende, oder nicht?«
    Jacques nickte nur, legte das Kleingeld für die Zeitungen auf die Glasschale, winkte freundlich und ging.
    Es war zu früh, um zu reden.
    Gaston brachte den Café crème und ein warmes Croissant und grinste so, als habe er ein kleines Geheimnis vor dem Untersuchungsrichter.
    Margaux würde ihn gleich mit dem Wagen abholen, also schlug Jacques zuerst ihre Zeitung auf. Unten auf der ersten Seite stand eine kurze Notiz, die besagte, der ehemalige Innenminister Louis de Ronsard sei in den Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses La Santé verlegt worden. Aber nicht, weil er so gefährlich sei, sondern zum eigenen Schutz, weil ihn Mithäftlinge fast gelyncht hätten. Kindermörder!
    Auf der Seite zwei verwirrte ihn die Überschrift »Fiat iustitia, et pereat mundus« über einem langen Kommentar von Chefredakteur Jean-Marc Real. Welcher Leser versteht im Web-Zeitalter noch einen lateinischen Spruch?
    Jean-Marc Real schrieb: »Papst Hadrian  VI . lehnte es ab, ein Verfahren gegen einen Mörder niederzuschlagen, nur weil dieser von hoher Geburt war. So prägte er die Maxime, die mit der Erkenntnis endet ›… pereat mundus‹ – es soll Gerechtigkeit geschehen, auch wenn die Welt untergeht. Dieser Wahlspruch besagt nichts anderes, als dass Gerechtigkeit für alle gilt, wer auch immer sich verantworten muss. Gerechtigkeit darf vor der weltlichen Macht nicht haltmachen. Ich finde, Frankreich sollte heute einen Untersuchungsrichter ehren, der nicht nur diesen Satz beherzigt, sondern auch Mut und Zivilcourage besitzt, um in diesem Sinn seines Amtes zu walten. Ein Papst ist allmächtig. Aber in Frankreich haben wir in den letzten Jahren erlebt, dass Untersuchungsrichter ermordet wurden, dass sie dem Druck der weltlichen Macht nicht standhielten, dass ihnen Karriere wichtiger war. Einer hält stand. Untersuchungsrichter Jacques Ricou beweist, dass Gerechtigkeit als ethische Tugend stärker ist als jede weltliche Macht.«
    Und so ging es noch zwei Spalten weiter.
    Gaston lehnte an der Tür des Bistros, zwirbelte seinen Bart und schmunzelte immer noch.
    Als Jacques aufschaute, lachte der Wirt und sagte: »Zufrieden?«
    »Verrückt! Ich schäme mich fast! So schnell kann es gehen. Ich bin wohl nicht mehr der Lifestyle-Richter?«
    Dann zog er ein zerknuddeltes Stück Papier aus der Brusttasche
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