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Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab
Autoren: Nadja Quint
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und legte sie den Eltern auf die heiße Stirn, um ihnen Linderung zu verschaffen. »Kommt«, sagte sie, nachdem sie diese Arbeit verrichtet hatte.
    Sie schloss die Tür zur Schlafkammer und setzte sich mit den Kindern und Ulla an den Küchentisch. Dort erläuterte sie, dass Fine und Bastis Eltern unter einer schweren Lungenentzündung litten, die nun auskuriert werden müsse.
    »Aber im Sommer waren beide doch noch ganz gesund«, wandte Fine ein.
    »Sicher«, sagte Marjann. »Aber ich weiß noch gut, wie eure Eltern an Schwindsucht erkrankt sind, damals während der schlimmen Hungersnot. Inzwischen hatten sich ihre Körper wieder erholt. Aber wer einmal an Schwindsucht litt, der zieht sich umso eher eine Lungenentzündung zu.«
    »Das stimmt«, sagte Ulla zu den Kindern gewandt. »Und ich bin hier, um euch zum Oberlandbauern zu bringen. Solange eure Eltern krank sind, ist er euer Vormund und nimmt euch vorläufig bei sich auf, weil euer Vater sich vor vielen Jahren als fleißiger Knecht bei ihm verdingt hat.«
    Sie ließ die Kinder einige Nachtwäsche in zwei kleine Sacktaschen packen und führte sie die Oberdorfstraße entlang zum Gehöft ihres Dienstherrn. Als Fine und Basti in das Haus eintraten, staunten sie über die großzügigen Räume und den vielen Zierrat. In der Küche brannten unter einer gewaltigen Esse gleich zwei Herdfeuer, und an den Wänden hingen kupferne Töpfe und Pfannen. Ulla zeigte den Kindern das Speisezimmer mit den Schränken und Truhen aus Eichenholz. Darin lagerten Tischtücher und Servietten aus feinstem Linnen, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatten.
    Der Oberdorfbauer kam kurz herein. Er fuhr den Kindern tröstend über das Haar und sprach: »Ihr sollt wissen, vom Gemeinderat habe ich mich zu eurem Vormund bestellen lassen. Denn in der Gegend hier habt ihr ja keine Verwandten mehr, und eure letzten beiden Paten sind schon vor Jahren nach Amerika ausgewandert.«
    Ohne abzuwarten, ging er wieder hinaus. In Fine war ein seltsamer Stolz, als sie erfuhren, dass dieser fürnehme Herr ihr Vormund war.
    In den folgenden Stunden versuchten sie, sich mit den Gebäuden und Plätzen des Hofs vertraut zu machen. Basti sah den Knechten auf der Tenne zu. Fine hingegen stand vor dem großen Fachwerkhaus und las immer wieder den Bibelspruch über der Pforte, der lautete:
Durch Weisheit wird ein Haus gebaut und durch Verstand erhalten
. Er stammte aus den Sprüchen Salomons. Zwar verstand Fine den Sinn nur grob, aber sie fühlte sich darin gestärkt, dass es etwas Besonderes sein musste, ein Mündel des Oberlandbauern zu sein.
    Am Abend wies Ulla den Kindern eine kleine Schlafkammer unter dem Dach zu – im Gesindetrakt, wo auch die Mägde schliefen. Zwei einfache, aber recht großzügige Holzpritschen standen in der Kammer, darauf mit Rosshaar gestopfte Matratzen und ein Deckbett mit Gänsefedern. Beides kannten die Kinder von zu Hause, denn Vater und Mutter hatten mit ihrem Fleiß dafür gesorgt, dass alle Mitglieder der Familie bequem schlafen konnten. Doch in Gesindekammern seien derartig gut ausgestattete Betten keineswegs selbstverständlich, erklärte Ulla. Die meisten Knechte und Mägde im Dorf mussten auf Stroh ruhen und hatten oft nur eine grobe oder löchrige Decke aus Wolle oder Filz. Doch der Oberlandbauer und seine Frau achteten darauf, dass auch dem Gesinde eine gewisse Behaglichkeit zustand. Denn nur durch guten Schlaf bei Nacht konnten die Mägde und Knechte am Tag ihre Arbeit nicht nur mit Schweiß, sondern auch mit Freude erledigen. Das jedenfalls war die Ansicht des Oberlandbauern.
    Und abermals erfüllte Stolz Fines Herz, als sie sich gewahr wurde, das Mündel eines solch fürsorglichen Mannes zu sein.
    So vergingen zwei Tage, an denen die Kinder sich auf dem Gehöft einlebten. Fine erkundigte sich ständig nach ihren Eltern, und immer bekam sie zur Antwort, dass man abwarten müsse. Die Eltern seien in guten Händen, denn Tag und Nacht wechselten sich die Frauen im Dorf mit der Krankenpflege ab.
    Sie wandte sich an Ulla, um zu fragen, ob es denn nicht doch irgend möglich sei, den Eltern einen Besuch abzustatten.
    Aber auch Ulla konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln: »So leid es mir tut, Fine. Aber die Gefahr ist zu groß, dass ihr euch an der Krankheit ansteckt. Und das wollen eure Eltern ganz sicher nicht. Solange die beiden in hohem Fieber liegen, würden sie euch ohnehin nicht erkennen.«
    »Aber vielleicht von außen. Wir könnten doch einfach ans Fenster der
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