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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn
Autoren: Tanith Lee
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erinnert?« »Ja«, entgegnete Lizra.
    Es war der Streitwagen von ihrer ersten Begegnung, bemalt und vergoldet, wenn auch heute ohne Blumenschmuck. Die kleinen weißen Pferdchen standen an der Deichsel, aufmerksam, aber nicht panisch. Die beiden Mädchen stiegen ein, gefolgt von dem Piefel, und Lizra zog die Zügel an. »Galopp!« Und ab ging es, den Strand entlang und zurück in Zoranders Stadt.
    Denk an die Sandburg. Wo mag sie nur sein?
    »Warum fahren wir in die Stadt?« fragte Tanaquil.
    »Weil dort der Palast ist, und ich will, daß du es siehst.«
    "Was?"
    »Ich will es dir zeigen, nicht beschreiben. Darum fahren wir hin.«
    Der Panzer war heiß und unbequem; es juckte. Hatte der Soldat Flöhe gehabt? Abrupt verspürte Tanaquil Mitleid mit ihm. Es war nicht sein Fehler, daß man ihm befohlen hatte, den Speer zu schleudern.
    Sie kehrten nicht durch das Tor, durch das sie hinausgefahren waren, in die Stadt zurück. Lizra lenkte den Streitwagen in ein Gehölz oberhalb des Strandes und brachte sie zur Stadtmauer und einem breiten Tor, flankiert von großen Steinlöwen. Hier gab es einen ordentlichen Wirbel; man stattete sie mit einer Eskorte aus. »Nur dieser eine Mann blieb bei Euch, Herrin? So etwas habe ich noch nie gehört. Sich vor einem Bettlermädchen am Strand zu fürchten! Das ist mir noch nie passiert.«
    Die Stadt schien sich nicht verändert zu haben. Es gab noch immer den alten Löwen und die alte Betriebsamkeit, die hin und her treibenden Menschentrauben, die eleganten Läden und den exotischen Markt. Dann, als sie in die Straße der Tintenfische und Kamele einbogen, die der fünfzehnstöckige Fürstenpalast überragte, wurden sie angehalten.
    Eine Menschenmenge wälzte sich über die Prachtstraße, hatte die Laternenpfähle erklommen. In der Mitte der Fahrrinne lag ein umgeworfener Streitwagen. In der Menge konnte man die gestohlenen Pferde entdecken, die nun einem neuen Arbeitsleben entgegensahen.
    »Macht den Weg freu« donnerte der Hauptmann der Eskorte.
    Eine Schneise tat sich auf. Wie auch in den anderen Straßen, durch die sie gekommen waren, erhoben sich ein paar laute Jubelrufe für Lizra. Langsam bewegten sie sich voran.
    »Dieser Streitwagen gehört Gasb«, erklärte Lizra. Sie zog die Zügel an. »Stehenbleiben!« Sie wandte sich an einen vierschrötigen Mann in der Menge, dessen Lederschürze ihn als Weinhändler auswies. »Was hat das zu bedeuten?« Ein Durcheinander aufgeregter Stimmen antwortete ihr: »Einer nach dem anderen«, befahl Lizra. »Du. Dich habe ich als ersten gefragt.«
    »Eine Ehre, Hoheit. Vor zwanzig Minuten raste Kanzler Gasb hier in aller Eile durch.
    Es waren mehrere Streitwagen. Die meisten drehten ab, als sie die Menschenmenge erblickten, doch Gasb hielt mitten in uns hinein.«
    »Wir warteten nur«, ließ sich ein in Seide gewandeter Mann hinter dem Weinhändler vernehmen, »auf Neuigkeiten von dem Fürsten oder von der Besänftigungszeremonie, die Ihr, Hoheit, ausführtet.«
    »Es ist Tradition, daß die Bürger die Straßen benutzen dürfen.«
    »Ja«, pflichtete Lizra ihm bei. »Also Gasb raste in die Menge hinein. Und dann?« »Dann, Hoheit«, fuhr der Weinhändler fort, »bitte versteht es nicht falsch, dann lenkten wir die Pferde ab und kippten den Streitwagen um.«
    Der Seidengewandete fügte mit Befriedigung hinzu: »Wir haben ihn dazu überredet, auszusteigen.«
    »Wir zerrten ihn raus«, ließ sich ein anderer hilfreich vernehmen.
    »Er wurde mit Eiern und reifen Früchten eines nahegelegenen Ladens bombardiert«, erläuterte der Weinhändler weiter. Die Männer schwiegen kurz, sahen einander an. Der Weinhändler räusperte sich. »Gasb war nicht sehr beliebt.«
    Der Seidengewandete sagte: »Einige aufgebrachte Elemente der Menge führten ihn hinweg, Hoheit. Vielleicht, um ihm gut zuzureden.«
    »Mein Vater wird das erfahren«, stellte Lizra fest. Es gab keine Reaktion auf ihre theatralische Mißfallenskundgebung.
    »Macht Platz für die Prinzessin!« brüllte der Hauptmann der Eskorte.
    »Das Glück möge ihr hold sein!« rief der Weinhändler mit besonderer Inbrunst, um klarzustellen, daß er nicht der geeignete Kandidat für die Schwerter der Soldaten war. Die Bedienungsmannschaften der Fliegenden Stühle feierten ein Fest. Sie sangen den Namen Gasb und brachen in Lachanfälle aus. Der Stuhl stieg indes ohne weitere Zwischenfälle empor. In dem langen Korridor salutierten die goldenen Soldaten, und niemand stellte Fragen nach dem Kameraden, der
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