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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill
Autoren: Madeline Miller
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zu sein.
    Der Scheiterhaufen ist heruntergebrannt. Wenn die Asche nicht bald eingesammelt wird, holt sie sich der Wind. Doch Thetis, deren Aufgabe es ist, sie zu bergen, rührt sich nicht. Odysseus wird geschickt, um mit ihr zu reden.
    Er kniet vor ihr nieder. »Göttin, tu uns deinen Willen kund. Sollen wir die Asche einsammeln?«
    Sie schaut auf ihn hinab. Ob sie trauert oder nicht, ist ihr nicht anzusehen.
    »Sammelt sie. Bestattet sie. Ich habe getan, was ich zu tun bereit war.«
    Er verbeugt sich tief. »Große Thetis, dein Sohn wünscht, dass seine Asche mit der –«
    »Ich weiß. Tut, was ihr für richtig haltet. Mich geht es nichts mehr an.«
    Dienerinnen sammeln die Asche ein und tragen sie zu der goldenen Urne, in der ich ruhe. Werde ich ihn spüren? Ich denke an die Schneeflocken, die uns am Pelion kühl auf die roten Wangen gefallen sind. Meine Sehnsucht nach ihm ist wie nagender Hunger. Seine Seele wartet irgendwo, bleibt aber für mich unerreichbar. Begrabt uns unter einem Stein mit unseren Namen. Lasst uns frei sein . Seine Asche vermengt sich mit meiner, doch ich spüre nichts.
    Agamemnon lässt über den Bau einer Gruft beraten.
    »Sie sollte dort sein, wo er gefallen ist«, schlägt Nestor vor.
    Machaon schüttelt den Kopf. »Angemessener wäre es, sie in der Nähe der Agora zu errichten.«
    »Damit wir tagtäglich Anstoß daran nehmen? Ausgeschlossen«, widerspricht Diomedes.
    »Auf dem Hügel hinter dem Lager der Myrmidonen«, sagt Odysseus.
    Egal wo.
    »Ich bin gekommen, um den Platz meines Vaters einzunehmen«, schallt eine helle Stimme durch den Raum.
    Die Köpfe der Könige fahren herum. Im Eingang des Pavillons steht ein Junge mit roten Haaren, die schimmern wie Flammenränder. Er ist wunderschön, aber auf seltsam kalte Weise, schön wie ein Wintermorgen. Kaum einer im Raum, der nicht sofort gewusst hätte, wer sein Vater war. Der Name steht ihm ins Gesicht geschrieben. Nur das Kinn ist anders; es läuft spitz zusammen wie das seiner Mutter.
    »Ich bin Achills Sohn«, erklärt er.
    Die Könige starren ihn an. Nur wenige wussten, dass Achill ein Kind hat. Odysseus hat sich als Erster wieder gefasst und fragt: »Und wie ist dein Name, Sohn des Achill?«
    »Neoptolemos, aber genannt werde ich Pyrrhos.« Feuer . Ausschließlich der Haare wegen. »Wo hat mein Vater gesessen?«
    Idomeneus sitzt auf dessen Platz. Er steht auf. »Hier.«
    Pyrrhos mustert den kretischen König mit schneidendem Blick. »Ich verzeihe dir deine Anmaßung. Du wusstest nicht, dass ich komme.« Er setzt sich. »Herr von Mykene, Herr von Sparta.« Er neigt den Kopf kaum merklich. »Ich will mich euren Truppen anschließen.«
    Agamemnons Gesicht verrät ungläubiges Staunen und Missfallen zugleich. Er hat geglaubt, sein Problem mit Achill sei gelöst. Doch nun scheint es sich in Person dieses seltsamen Jünglings fortzusetzen.
    »Dazu fehlt es dir an Jahren.«
    Er ist elf.
    »Ich habe bei den Göttern auf dem Meeresgrund gelebt«, sagt er. »Ich habe ihren Nektar getrunken und mich an Ambrosia gelabt. Jetzt werde ich den Sieg für euch erringen. Die Schicksalsgöttinnen haben geweissagt, dass Troja nicht ohne mich fällt.«
    »Was?« Agamemnon ist entsetzt.
    »Wenn dem so ist, freuen wir uns, dich in unseren Reihen zu wissen«, sagt Menelaos. »Wir beraten gerade darüber, wo dein Vater bestattet werden soll.«
    »Auf dem Hügel«, beharrt Odysseus.
    Menelaos nickt. »Ein passender Ort für beide.«
    »Beide?«
    Es bleibt eine Weile still.
    »Für deinen Vater und seinen Gefährten. Patroklos.«
    »Und warum sollte dieser an der Seite des Aristos Achaion begraben werden?«
    Die Luft ist zum Schneiden dick. Alle warten auf Menelaos’ Antwort.
    »Weil es dein Vater so wollte, Prinz Neoptolemos. Wir können den einen nicht ohne den anderen begraben.«
    Pyrrhos hebt sein spitzes Kinn. »Ein Sklave ist fehl am Platz in der Gruft seines Herrn. Zwar lässt sich die Asche beider nicht mehr voneinander trennen, doch werde ich nicht zulassen, dass der Ruhm meines Vaters Schaden nimmt. Für ihn allein soll das Denkmal sein.«
    Nein! Lass mich nicht hier ohne ihn .
    Die Könige tauschen fragende Blicke miteinander.
    »So sei es«, sagt Agamemnon. »Ganz wie du willst.«
    Ich bin Luft und Gedanke und kann nichts tun.
    Je größer das Denkmal, desto größer der Mensch, dem es gewidmet ist. Die Griechen markieren sein Grab mit einem großen weißen Stein, der bis zum Himmel reicht und mit der Aufschrift ACHILL versehen ist. Er steht
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