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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill
Autoren: Madeline Miller
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Speer, vom Strand aus geschleudert, fliegt lautlos und präzise. Seine Spitze trifft auf ihren Rücken wie ein Stein auf ein treibendes Laubblatt. Das Wasser verschlingt sie.
    Phoinix schickt einen Mann, um sie zu bergen, doch er findet sie nicht. Vielleicht sind ihre Götter freundlicher als die unseren und gewähren ihr Frieden. Dafür würde ich noch einmal mein Leben hingeben.
    Die Prophezeiung bewahrheitet sich. Pyrrhos ist gekommen und Troja fällt, jedoch nicht allein durch ihn. Auch mit Hilfe des Holzpferds und der List des Odysseus sowie des riesigen Heers. Aber er ist derjenige, der Priamos tötet und Hektors Frau Andromache aufspürt, die sich mit ihrem Sohn in einem Keller versteckt hält. Er reißt ihr das Kind aus den Armen und zerschmettert seinen Kopf an der Mauerwand. Sogar Agamemnon erbleicht, als er davon hört.
    Das Herz der Stadt ist gebrochen. Die griechischen Könige beladen ihre Schiffe mit goldenen Säulen und Prinzessinnen. Schneller, als ich es für möglich gehalten habe, packen sie ihre Zelte und Gerätschaften ein und räumen das Lager. Der Strand gleicht bald einem bis auf die Knochen abgenagten Kadaver.
    Ich zeige mich in ihren Träumen. Geht nicht , flehe ich sie an. Nicht bevor ihr mir meinen Frieden gegeben habt . Doch niemand antwortet.
    Pyrrhos wünscht ein letztes Opfer für seinen Vater, bevor sie in See stechen. Die Könige versammeln sich am Grab. Mit seinen Gefangenen Andromache, Königin Hekabe und der jungen Prinzessin Polyxena im Gefolge zelebriert Pyrrhos das Ritual. Er führt die drei Frauen nunmehr ständig mit sich zum Zeichen seines Triumphs.
    Kalchas bringt ein weißes Kalb zum Grabstein. Doch als er zum Messer greift, hält Pyrrhos ihn zurück. »Ein einziges Kalb? Ist das alles? Nur das, was jedem gewöhnlichen Mann zukäme? Mein Vater war der Aristos Achaion , der beste von allen, und sein Sohn hat sich als noch besser erwiesen. Und ihr wollt geizen?«
    Pyrrhos packt Polyxena bei ihrem Gewand und zerrt sie zum Altar. »Hier ist, was die Seele meines Vaters verdient.«
    Nein, das kann er nicht wagen.
    Wie zur Antwort schmunzelt Pyrrhos. »Ihm wird’s gefallen«, sagt er und schlitzt ihr die Kehle auf.
    Ich kann es immer noch schmecken, dieses Gemisch aus Salz und Eisen. Es sickert ins Gras, unter dem wir begraben sind, und entsetzt mich. So ist es nicht gemeint, wenn es heißt, dass die Toten nach Blut dürsten. Nicht nach ihrem.
    Morgen werden die Griechen aufbrechen. Ich bin verzweifelt.
    Odysseus.
    Er schläft, wenn auch nicht tief. Seine Augenlider flackern.
    Odysseus. Hör mich an!
    Er zuckt, ist selbst im Schlaf nicht entspannt.
    Als du ihn um Hilfe gebeten hast, habe ich geantwortet. Willst du mir jetzt nicht ebenfalls antworten? Du weißt, was er für mich war, wusstest es schon, bevor du uns hierhergeführt hast. Unser Friede liegt in deiner Hand.

    »Entschuldige, dass ich so spät noch störe, Prinz Pyrrhos.« Er schenkt ihm sein freundlichstes Lächeln.
    »Ich schlafe nicht«, sagt Pyrrhos.
    »Das trifft sich gut. Und es erklärt, warum du mehr schaffst als alle anderen.«
    Pyrrhos mustert ihn aus verengten Augen, unschlüssig, wie er das Kompliment deuten soll.
    »Wein?« Odysseus hebt einen Schlauch in die Höhe.
    »Warum nicht?« Pyrrhos deutet mit der Kinnspitze auf zwei Kelche. »Lass uns allein«, sagt er zu Andromache. Während sie ihre Kleider zusammenrafft, schenkt Odysseus ein.
    »Nun, du wirst zufrieden sein mit dem Erreichten. Erst elf Jahre alt und schon ein Held. Das können nur wenige von sich behaupten.«
    »Keiner.« Seine Stimme ist kalt. »Was willst du?«
    »Ich fürchte, mein Gewissen regt sich.«
    »Oh –«
    »Wir brechen morgen auf und lassen viele tote Griechen hinter uns zurück. Sie sind alle bestattet, und ihr Name kennzeichnet ihr Grab, das an sie erinnert. Von einem abgesehen. Obwohl ich kein frommer Mann bin, gefällt mir der Gedanke nicht, dass Seelen unter uns Lebenden wandeln, ohne zur Ruhe zu kommen. Ich möchte nicht von rastlosen Geistern heimgesucht werden.«
    Pyrrhos hört zu und verzieht verächtlich den Mund, wie es seine Art ist.
    »Ich kann nicht behaupten, ein Freund deines Vaters gewesen zu sein. Aber ich habe seine Fähigkeiten bewundert und ihn als Kämpfer wertgeschätzt. In zehn Jahren lernt man einen Menschen kennen, ob man es will oder nicht. Darum bin ich überzeugt, dein Vater wollte nicht, dass Patroklos vergessen wird.«
    Pyrrhos versteift sich. »Hat er das so gesagt?«
    »Er hat verlangt, dass
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