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Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
Autoren: Lynne Wilding
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verstörten Geist.
    Dr. Simon Pearce nahm das Klemmbrett vom Fußende des Bettes, zog seine Brille aus der Brusttasche und sah sich das Krankenblatt an. Das Licht reichte nicht aus, um die Anspannung um seine Mundwinkel erkennen zu lassen, die seine Verzweiflung andeutete. Seine wunderbare, fähige Frau, die sich bislang jeder Herausforderung im Leben gestellt und sie gemeistert hatte, war, wie das Krankenblatt es andeutete, ein emotionales Wrack. Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte, und sein Adamsapfel hüpfte, als sich ihm die Kehle zuschnürte. Jessica hatte einen völligen Nervenzusammenbruch erlitten – davon musste er zumindest ausgehen, solange Nikko ihm nicht etwas anderes sagte. Schnell verbannte er die Worte aus seinen Gedanken, unfähig, sich zu diesem Zeitpunkt damit zu befassen.
    Er legte das Krankenblatt zurück und blieb stehen, abwartend. Seine Kiefernmuskeln spannten sich, während er vor seinem geistigen Auge die Ereignisse Revue passieren ließ, die dazu geführt hatten, dass seine Frau in einem Krankenhausbett eines Privatsanatoriums für geistig und psychisch labile Menschen lag.
    Damian … tot. Daran ließ sich nicht zweifeln, doch er musste die Augen fest schließen, um nicht in Tränen auszubrechen. Sein Sohn. So klein, so kostbar. Und er hatte nichts tun können, um es zu verhindern, trotz all seiner ausgezeichneten medizinischen Examen, seiner FRCS-Qualifikation und seiner langjährigen Erfahrung.
    Der Tod war nachts im Schutz der Dunkelheit gekommen und hatte sein Opfer schmerzlos zu sich genommen … Dafür zumindest konnte er wenigstens ein bisschen dankbar sein. Doch nie würde er Jessicas Schrei vergessen – er war ihm nicht aus dem Kopf gegangen, bis er ihn im Unterbewusstsein vergraben hatte. Sonst hätte er nicht weitermachen können. Sie hatte ihn ausgestoßen, als sie ihn in der frühen Morgendämmerung ins Kinderzimmer gerufen hatte.
    Gott, wie hatte er gearbeitet. Panisch. Er hatte Jess angebrüllt, ihm seine Tasche zu bringen. Sich das Stethoskop in die Ohren gerammt und versucht, einen Herzschlag zu finden. Nichts. Den Puls an dem kleinen Hals gesucht. Seine Finger in den Hals des Kindes gesteckt, um sich zu vergewissern, dass die Atemwege frei waren. Er hatte ihm den Frotteeschlafanzug ausgezogen, den kleinen Körper auf den Wickeltisch gelegt und trotz des bläulichen Schimmers der Haut mit Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzmassage begonnen. Er erinnerte sich daran, Jess mit hohler Stimme befohlen zu haben, den Notruf zu wählen und die Wiederbelebungsmaßnahme fortgesetzt zu haben, bis der Krankenwagen gekommen war.
    Später, an einem schönen, sonnigen Tag, hatte er den mit weißen Rosen bedeckten, weißlackierten kleinen Sarg getragen und ihn neben das klaffende Loch in der Erde gestellt … Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter, und die Muskeln in seinem Kiefer arbeiteten erregt, bis er sich langsam beruhigte.
    Simons Finger krampften sich um das Geländer am Fußende des Bettes, die Knöchel spannten sich weiß um die Muskeln, Knochen und das Gewebe. Plötzlicher Kindstod, der latente Albtraum aller Eltern. Und kein einziges verdammtes Warnzeichen, bis es zu spät war. Mit der Rechten zwickte er sich in den Nasenrücken, während ihm die Gedanken durch den Kopf flogen. Hatte es vielleicht kleine Anzeichen gegeben, die er übersehen hatte? War das Babyphon angeschaltet gewesen? Hatten sie beide den Alarm überhört? Wie oft war er jedes einzelne Detail bereits durchgegangen, hatte sich gefragt …, sich gewünscht … Jesus Christus, es war sein Sohn, ihr gemeinsamer Sohn. Es war einfach nicht fair.
    »Dr. Pearce?«, fragte die Nachtschwester von der Tür her.
    Simon wandte sich um. »Ja, bitte?«
    »Dr. Stavrianos wird in ein paar Minuten bei Ihnen sein. Möchten Sie vielleicht lieber in seinem Büro auf ihn warten? Es ist am Ende des Flurs.«
    Simon nickte kurz zur Bestätigung. Nikko, sein alter Kumpel von der Universität, der Mann, der ihn mit Jessica zusammengebracht hatte, war wie üblich außerordentlich gewissenhaft. »Danke, das werde ich.« Er trat an die Seite des Bettes, beugte sich nieder, küsste seine Frau auf die Stirn und strich ihr das Haar zurück, bevor er sich umwandte und das Zimmer verließ.
    Erst als er allein in Nikko Stavrianos' engem Büro saß, wo Akten auf jedem freien Platz verstreut lagen, erlaubte sich Simon, etwas locker zu lassen, und ließ den Kopf in die Hände sinken. Schockwellen durchliefen ihn, während er sich an die
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