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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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plastisch sie diese Träume auch erlebte – wie einen Film, gespannt aufeiner Leinwand –, so sehr zersetzten sich ihr Inhalt und ihre Form, wenn sie wieder an die Oberfläche des Erwachens trieb. Zurück blieben nur Bruchstücke, so klein, unbedeutend und verstreut wie Kiesel an einem Strand, sowie ein kalter Schauder, der sie den Rest des Tages begleitete. Mit Abraham sprach sie nie darüber, aber ihr war klar, dass er ähnlich heftige Träume dieser Art haben musste. Und seine waren sicher um ein Vielfaches schlimmer.
    Der Alltag gab ihnen dann den Rest, und ihre Ehe reduzierte sich auf die täglichen Gewinn- und Verlustrechnungen.
    Als sich ihr Schiff immer mehr im Sturm neigte, da redete sie sich ein, dass dies selbst den besten Leuten misslingt: Das Glück, von dem man glaubte, es in Besitz genommen zu haben, rutschte einem aus der Hand. Sie hatten nicht gut genug aufeinander aufgepasst.
    Immerhin kämpfte sie, und auch er gab lange nicht auf. Sie versuchten es, auch wegen der Kinder, aber wenn Kinder als das letzte Argument herhalten müssen, um sich nicht zu trennen, ist meistens alles schon zu spät. Und weder sie noch Abraham waren die Art von Menschen, die krampfhaft versuchten, die Fassade zu wahren, wenn dahinter alles in furchtbarer Unordnung ist.
    Sie bereiteten die Kinder, Gott sei Dank nicht mehr klein und selbst dabei, sich in der Welt einzurichten, langsam darauf vor. Für sie änderte sich nichts, was Liebe und Zuneigung betraf – und bald darauf ging Judith nach Paris, um Mode zu studieren, und Tyler für ein Jahr in das Land seiner Mutter, wo seine Großeltern sich um ihn kümmerten. Sobald die Kinder weg waren, packte Abraham seine Koffer. Sie sah ihm dabei zu und dachte an Robert Abraham und dass die beiden Brüder trotz unterschiedlicher Wege vieles gemeinsam hatten. Erin sah ihm nach, diesem großen stillen Mann, der ihr gemeinsames Leben verließ. Gescheitert, dachte sie bitter.
    Wie alle anderen.
    Und für wie einzigartig hatten sie sich doch zu Anfang noch gehalten.
    Wie alle anderen.
    Was folgte, war eine neue Erfahrung: die erste Nacht alleine ohne ihren Mann. Der Verlust seiner beruhigenden Nähe. Aber zugleich auch: der Verlust seiner mitunter beunruhigenden Nähe. Denn die Träume von der Totenstadt in der Wüste erschienen ihr nicht mehr. Ohne Abraham war die Verbindung gekappt. Ohne seine Nähe in ihrem Schlaf waren ihre Traumbande zerschnitten und verweigerte ihr die Nekropole schlicht den Zutritt.
    Es war kein Abschied für immer.
    Dann und wann begegneten sie sich auf den Trümmern ihrer Ehe, und obwohl es Papiere zum Unterzeichnen gab, ruhten diese (geladenen Waffen gleich) in den Schubladen ihrer Anwälte. Noch nicht, sagten sie sich beide; zumindest das waren sie sich schuldig. Und besaßen ihre gelegentlichen Besuche in seiner neuen Wohnung nicht sogar einen absonderlichen Reiz? Es ging ja gar nicht um Versöhnung – Versöhnung von was? Ihre Streitereien waren vergeben und vergessen. Vielmehr hatte sich der Riss zwischen ihnen, der Spalt, der Abraham langsam von der Welt entfremdete, zu einer immer größeren Kluft entwickelt.
    In gewisser Weise war Abraham zu einem Autisten geworden. Wie in ihren Träumen von der Totenstadt war er ihr nahe und doch fern zugleich, und obwohl sie ihn hätte berühren können, blieb er außerhalb ihrer Reichweite. Er hatte ihr einen Zweitschlüssel für seine Wohnung überlassen wollen, aber den lehnte sie ab. Er hingegen besaß immer noch einen Schlüssel zu dem gemeinsamen Haus. Sie trafen sich, wenn ihnen danach war, im Grunde wie in einer Zeitschleife: als wäre es immer die Wiederholung des ersten Mals. Taten so, als hätte es die Jahre dazwischen nicht gegeben. Darin lagen sowohl einegewisse Verzweiflung wie auch eine Art von Selbstbetrug, aber die Täuschung funktionierte. Ihre Körper funktionierten, und obwohl Erin klar war, dass dies nicht mehr ausreichte, um noch einmal neu zu beginnen, hielt sie sich an dem bisschen fest, solange es ging. Aber alles endet irgendwann unwiderruflich, und heute war es soweit, denn sie hatte eine endgültige Entscheidung getroffen. Sie rollte von ihm, ihr nackter Körper in eine Decke gewickelt.
    Mag sein, dass wir einander nicht mehr gehören, dachte sie, aber dann hätte jemand unseren Körpern Bescheid geben sollen. Die Decke um sich gewickelt, bahnte sie sich den Weg durch das Halbdunkel des Zimmers in Richtung Bad.
    Abraham sah ihr nach. Jetzt, wo ihn Erins Wärme nicht mehr beschützte,
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