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Das Licht der Flüsse

Das Licht der Flüsse

Titel: Das Licht der Flüsse
Autoren: Aufbau
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von allerlei wirklichen und eingebildeten Krankheiten und
     Angstzuständen getrübt war. Von seinen Eltern wurde er, wie er vielsagend bemerkte, »liebevoll, aber nicht immer klug behandelt«.
     Zu den weniger klugen Erziehungsmethoden gehörten sicher die ans Fanatische grenzenden religiösen Ermahnungen und Unterweisungen
     des Kindermädchens Alison Cunningham. Cummy, wie sie in der Familie genannt wurde, vermittelte dem Jungen ein Weltbild, in
     dem das geringste Vergehen zwangsläufig zur ewigen Verdammnis führte. Wenn die Eltern einmal die heilige Sonntagsruhe brachen
     und abends eine Partie Whist spielten, zwang Cummy den kleinen Louis, mitten in der Nacht inbrünstig um das Seelenheil der
     Familie zu beten. Oft träumte er vom Jüngsten Gericht und dem Höllenschlund, in den er geworfen wurde, weil er gerade nicht
     den passenden Bibelspruch oder einen anderen Beweis seiner Frömmigkeit parat hatte. Gegen seine erschreckenden Alpträume und
     die Schlaflosigkeit, unter der er häufig litt, wurde ihm nachts ein fragwürdiges Mittel eingeflößt: eine Tasse starker schwarzer
     Kaffee.
    Dennoch liebte Stevenson seine Cummy, die ihm wie eine zweite Mutter war, die ihn ebenso bereitwillig wie seine richtige Mutter
     verwöhnte, wenn sie ihn nicht gerade mit blutrünstigen Geschichten über religiöse Märtyrer in Angst und Schrecken versetzte.
     Und obwohl er eine schwache Konstitution, ein übersensibles Nervenkostüm und eine oftfiebrige Phantasie besaß, halfen ihm sein aufgeweckter Verstand und seine Neugier, die geistige Enge seiner Erziehung zu überwinden.
     Natürlich faszinierten den Jungen bald genau jene Dinge, die dem Kindermädchen unweigerlich als Frevel und den Eltern zumindest
     als nutzlos erschienen: Abenteuerromane und Theaterstücke. Als Kind liebte er die melodramatischen Werke von Joanna Baillie
     und die historischen Romane Sir Walter Scotts, die ihm in der Bibliothek seines Großvaters Lewis Balfour zugänglich waren.
     Auch zeigte er selbst einen Hang zur Schauspielerei: Einmal legte er sich ein weißes Handtuch auf den Kopf und deklamierte,
     eine Kerze in der Hand, mit Grabesstimme die Totenklage aus Scotts
Ivanhoe
, bis er sich vor sich selber gruselte und in die Arme der Großeltern flüchtete. Eine besondere Vorliebe hatte er für
Skelt’s Juvenile Drama
, bedruckte Kartons mit Spielfiguren zum Ausschneiden und Bemalen, mit denen man kleine vorgegebene Stücke, vorzugsweise über
     Räuber, Schmuggler und Piraten, nachspielen konnte. Es ist also kaum verwunderlich, dass er früh den Wunsch und die Fähigkeit
     in sich entdeckte, selbst Geschichten zu erfinden und aufzuschreiben. Schon als zwölfjähriger Schuljunge erfreute er seine
     Mitschüler und zahlreichen Cousins mit einem selbstverfassten
School Boys Magazine
und einem Opernlibretto mit dem Titel »The Baneful Potato«: »Die schändliche Kartoffel«!
    So war Robert Louis Stevenson bereits in kurzen Hosen ein geborener Künstler und Schriftsteller, der sich früh Hoffnungen
     auf eine Karriere in diesem Bereich machte, aber zugleich widerwillig den ausdrücklichen Wunsch seines Vaters respektierte,
     der von ihm die Fortsetzung einer altenFamilientradition erwartete: Louis sollte wie Thomas Stevenson und dessen Vater Ingenieur werden, um Leuchttürme an den unwirtlichen
     Küsten Schottlands zu errichten. Als er schließlich im Herbst 1867 pflichtschuldig mit dem Studium des Ingenieurwesens begann,
     wurde jedoch bald klar, dass er weder die Neigung noch das Talent dafür besaß. Er vertrödelte die Vorlesungen, indem er Geschichten
     und Gedichte in sein Notizbuch kritzelte, hielt sich lieber in den verrufenen Spelunken Edinburghs als in den Hörsälen auf
     und freundete sich mit zwielichtigen Gestalten und Huren an. Obwohl er immer noch von religiösen Themen fasziniert war, beschäftigte
     er sich zunehmend mit religionskritischen Werken von Spinoza, Herbert Spencer und Charles Darwin, die seine innere Loslösung
     vom strengen Glauben seiner Familie stärkten und eine Krise in der Beziehung zu seinem Vater auslösten. In der Literatur wandte
     er sich, trotz seiner bleibenden Liebe zu den schottischen Klassikern Scott und Burns, moderneren Dichtern wie Charles Baudelaire
     und Walt Whitman zu. Doch die Beschäftigung mit Literatur und Philosophie schürte vor allem den Hass auf die vorgezeichnete
     Zukunft einer bürgerlichen Existenz und die Sehnsucht nach einem anderen, freien Leben. Da er weder den Hoffnungen
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