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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch
Autoren: Zoran Zivkovic
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tun.«
    »Ich könnte niemals Pathologe sein.« Fräulein Bogdanovićs mürrische Miene nahm den Ausdruck von Ekel an.
    »Ich würde mich auch am liebsten nur mit Büchern beschäftigen. Dafür bin ich übrigens auch ausgebildet. Aber jemand muss ja
     die Dreckarbeiten machen! Und von denen wird offenbar nicht einmal die Welt der Bücher verschont!«
    Fräulein Gavrilović ging zu dem Sessel, der bereits zwei Menschen auf dem Gewissen hatte.
    »Ich frage mich, ob wir ihn vielleicht wegnehmen sollten. Die Kunden fangen an, ihn zu meiden, und nach diesem zweiten Todesfall
     wird sich niemand mehr daraufsetzen.«
    »Wie haben Sie erfahren, dass Herr Todorović gerade hier gestorben ist?«, fragte ich und ging ebenfalls auf den Sessel zu.
    »Ach, das hatte ich wohl erwähnt. Ich weiß es nicht mehr. Und so etwas macht schnell die Runde. Gestern blieb der Sessel während
     meiner gesamten Schicht leer. Wie war es bei dir, Olga?«
    Fräulein Bogdanović blieb bei der Kasse stehen. »Ich glaube, genauso. Ich habe nicht darauf geachtet.«
    Ich schaute Fräulein Gavrilović an. »Ganz leer ist er ja nicht geblieben.«
    »Nein?«
    »Nein. Erinnern Sie sich, dass ich etwa zehn Minuten darin gesessen habe?«
    »Ach, ja. Aber Sie habe ich nicht gerechnet. Sie sind kein Kunde. Sie waren dienstlich hier.«
    »Dieser feine Unterschied würde mir schwerlich helfen, |30| wenn dem Sessel etwas anhaftet, was einen Herzinfarkt hervorruft.«
    Es herrschte Stille.
    Als Erste ließ sich Fräulein Bogdanović vernehmen. »Aber das ist doch lächerlich! Wie sollte ein gewöhnlicher Sessel einen
     Herzinfarkt auslösen?!«
    »Ich weiß nicht. Allerdings ist er das Einzige, was die beiden plötzlichen Todesfälle verbindet.«
    »Warum haben Sie dann keinen Infarkt bekommen?«
    »Vielleicht hat der Sessel mich verschont, weil ich so ein Faible für Literatur habe.«
    Das Geräusch, das Fräulein Bogdanović von sich gab, glich dem Fauchen einer wütenden Katze.
    »Ihr Verhalten ist völlig unangemessen!«, zischte sie durch die Zähne. Ihre zusammengepressten Lippen wurden zu einem dünnen
     Strich. »Die Unglücklichen, die hier verstorben sind, verdienen Ehrfurcht, aber keinen Spott!«
    Sie drehte sich um und ging raschen Schrittes zu der Tür hinter der Kasse, die offenbar zu einem Hinterzimmer führte.
    »Nehmen Sie es ihr nicht übel«, sagte Fräulein Gavrilović, als wir allein waren. »Das ist alles zu viel für Olga. Auch sie
     hat vorher nie einen Toten gesehen.«
    »Ich bin schuld. Ich habe übertrieben. Anscheinend hat mich dieser Tag auch ziemlich mitgenommen.«
    »Niemandem ist so etwas angenehm. Aber Spaß beiseite. Was, meinen Sie, sollen wir mit dem Sessel tun?«
    »Nichts. Am besten, er bleibt da, wo er ist.«
    »Es könnte sich jemand darauf setzen.«
    »Sie haben gesagt, die Kunden meiden ihn.«
    »Und wenn sich doch einer hinsetzt?«
    »Dann beobachten Sie genau, was passiert. Und rufen mich auf der Stelle an. Sie haben ja meine Handynummer.«
    Fräulein Gavrilović wollte noch etwas sagen, doch die Schellen an der Tür kamen ihr zuvor. Ein junger Mann und |31| ein Mädchen betraten die Buchhandlung. Sie blickte nach der Tür zum Hinterzimmer, doch diese blieb verschlossen.
    »Es ist Zeit zu gehen«, sagte ich, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen. Und auch mir. Hätten wir das Gespräch fortgesetzt,
     so wäre ich bald mit Fragen konfrontiert worden, auf die ich keine Antworten parat hatte. »Auch ich habe Arbeit bis über beide
     Ohren! Ich warte, dass Sie sich melden …«
    Ich lächelte ihr zu und verließ den Laden.

|32| 5.
    Beim Läuten des Telefons fuhr ich auf.
    Ich war allein im Büro. Kollege Petronijević war bereits am frühen Nachmittag fortgegangen und hatte gesagt, er werde nicht
     zurückkommen. Draußen war die Dämmerung angebrochen. An meinem Schreibtisch war keine andere Beleuchtung eingeschaltet als
     die Lampe, die ein offenes Buch beschien.
    »Hallo?«
    »Guten Abend, Kommissar Lukić. Hier ist Doktor Dimitrijević. Ich habe nicht erwartet, Sie noch in Ihrem Büro anzutreffen.«
    »Wie spät ist es?«
    »Zwanzig nach sechs.«
    »So spät schon? Wenn man arbeitet, merkt man nicht, wie die Zeit verfliegt.«
    Ich steckte das Lesezeichen zwischen die Seiten und klappte das Buch zu.
    »Ehe wir das Dienstliche besprechen, möchte ich Sie etwas fragen. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel. Es ist eine persönliche
     Sache.«
    »Ja, bitte?«
    »Sind Sie verheiratet?«
    Ich lachte.
    »Wäre ich
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