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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch
Autoren: Zoran Zivkovic
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und sie werden weiter auf das echte warten.«
    »Aber das
letzte Buch
ist hier! Ich habe es vor einer halben |219| Stunde in der Hand jenes Patienten gesehen! Und was war mit ihm?«
    »Nichts. Er hat seine Rolle zu Ende gespielt. Er sollte uns beide nur in der Teestube zusammenbringen.«
    »Warum?«
    »Wegen des Endes. Das
letzte Buch
ist noch ganz kurz hier. Bis wir dieses Gespräch zu Ende geführt haben.«
    »Ich verstehe dich nicht, Dejan«, sagte sie nach kurzem Schweigen.
    »Ich weiß. Aber das ist nicht das größte Problem. Und wenn du es verstehst, dann wirst du Mühe haben, es zu akzeptieren.«
    In ihren Augen las ich, dass in ihrem Kopf eine Menge Fragen schwirrten. Schließlich überwog eine Frage.
    »Welche Verbindung besteht zwischen diesem Gespräch und dem
letzten Buch

    »Es ist ein Teil davon. Ein Teil des letzten, des vierzigsten Kapitels.«
    Sie sah mich blinzelnd an.
    »Wie denn …?«
    »Im
letzten Buch
wird alles erzählt, was geschehen ist, seit ich vorigen Mittwoch zum ersten Mal in die Buchhandlung kam, bis zu dieser Lösung
     jetzt.«
    »Das ist nicht möglich …« Sie verhielt einen Moment. »Woher weißt du das? Hast du es gelesen?«
    »Wenn ich darin gelesen hätte, dann wäre ich jetzt tot wie die anderen, die es geöffnet haben. Sie sind umgekommen, gerade
     weil sie darin gelesen haben.«
    »Davon, dass man ein Buch liest, kann man nicht sterben …«, sagte sie nach kurzem Zögern.
    »Doch, leider. In einem ganz besonderen Fall. Wenn sich die Wirklichkeiten kreuzen.«
    »Wenn was?«
    Ich seufzte.
    |220| »Das wird am schwierigsten zu erklären sein. Wenn du Prosa schreibst, dann gibt es deine Wirklichkeit als Autor und die Wirklichkeit
     des Buches. Sie sind streng getrennt. Stell sie dir analog zu der Welt vor, die aus Materie und Antimaterie besteht. Kennst
     du das aus der Physik? Sie dürfen nicht in Kontakt kommen, sonst erfolgt die vollständige Zerstrahlung. Kreuzen sich die beiden
     Wirklichkeiten, so vergeht der Teil, der in Berührung mit dem Artefakt aus der anderen Welt kommt. Keine physische Berührung.
     Niemand würde Schaden erleiden, wenn er das
letzte Buch
nur geschlossen hielte. Aber sobald die Leute anfingen, es zu lesen, über sich selbst zu lesen, haben sich die Wirklichkeiten
     hoffnungslos verflochten und sind ausgelöscht worden. Dieses Auslöschen hinterließ keinerlei Spuren, sodass die Todesursache
     nicht festgestellt werden konnte.«
    Eine Weile schüttelte Vera schweigend den Kopf.
    »Das ist alles verrückt …«, sagte sie leise.
    »Verrückt, ja«, stimmte ich ihr zu. »Aber auch das einzig Mögliche.«
    Mit einer unbewussten Bewegung hob sie die Teetasse, um noch etwas Tee zu trinken, stellte sie jedoch zurück aufs Tablett,
     noch ehe sie sie zum Mund gebracht hatte.
    »Wenn es so ist, wie du sagst, wenn das Buch todbringend ist für alle, die es zu lesen versuchen, dann müsste sich das auch
     auf dich beziehen, nicht wahr?«
    »Das stimmt.«
    »Und woher weißt du dann, was in dem
letzten Buch
geschrieben steht?«
    Ich antwortete nicht sofort. Wir sahen uns einige Sekunden über den Tisch hinweg in die Augen.
    »Ich musste es nicht lesen«, sagte ich schließlich. »Ich habe es geschrieben.«
    »Du?«
    »Ja, ich. Aber nicht der Dejan, der dir jetzt gegenübersitzt.«
    |221| »Oh, gibt es noch einen anderen?«
    »Ja. Den Autor des
letzten Buches
. Aus der anderen Wirklichkeit. Aber er heißt nicht so.«
    »Und wie heißt er?«
    »Ähnlich. Er hat aus mir die Hauptperson seines Werkes nach seinem eigenen Bild gemacht. Wir sind mehr als Zwillingsbrüder.
     Wir sind eins.«
    »Ist er auch Kommissar?«
    »Nein. Er ist nur Autor. Aber ich bin ebenfalls Autor.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Ich auch nicht. Bis ich vergangene Nacht nach Hause kam und ins Arbeitszimmer ging. Nebenbei gesagt, wir haben die gleichen
     Arbeitszimmer. Sogar die gleichen Blumen im Topf auf dem Tisch. Du wirst es sehen, wenn du endlich zu mir kommst.«
    »Woher weißt du, was für ein Arbeitszimmer dieser Autor hat?«
    »Ich bin darin gewesen.«
    »Du warst … in seiner Wirklichkeit?«
    »Ja. Eben erst. Als du hier gesessen hast.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Das stimmt nicht. Du warst mir ständig vor Augen.«
    »Das ist dir nur so vorgekommen. Aber es ist jetzt nicht wichtig. Ich habe heute Nacht den Computer im Arbeitszimmer eingeschaltet
     und fand darin eine Datei mit den ersten neununddreißig Kapiteln des
letzten Buches

    »Aber wieso hast du nicht früher
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