Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
beschissen, weil er sich nicht wehrt«, redete er während des Rührens, »das Volk, von dem du immer sprichst, ist wie unsere Mutter … Mit dem kann man alles machen.«
    »Weil wir uns eben nichts kümmern um das Volk«, fiel ich ein, »was hilft da die ganze Bücherschreiberei.«
    »Ich seh’ schon, du änderst dich nie«, warf er hin und lächelte mich an, »hm, ein sonderbar verbohrter Kauz bist du.« Ich ging in den Garten und blieb eine Weile unter dem dicken Birnbaum stehen, ohne etwas zu denken. Ich hörte nur die Hühner gackern, weiter nichts.
    Abends, als Mutter ins Bett gegangen war, saßen wir in der engen Kuchl vom Maurus. Er ließ das Radio spielen.
    »Annamarie, was ist das?« fragte er lächelnd.
    »Das? … Schubert! … Das Forellen-Quintett!« antwortete sie, und seine Augen blitzten freudig auf, indem er sagte: »Siehst du! … Sie war ganz unmusikalisch! Genau wie du! … Ich bin’s auch gewesen, aber wenn man immer das gleiche hört, hat man auf einmal wirklich einen Genuß davon … Der Mensch kommt nur weiter, wenn er wirklich geduldig über alles nachdenkt! … Hör doch, wie schön das ist!« Er beschrieb ein paar anmutige Takte mit der Hand.
    »Jetzt hast du genau das gesagt, was ich meine«, rief ich. »Wenn man immer das gleiche hört, sagst du … Das macht der Hitler! Aber wir müßten es genau so machen, bloß – wir müssen das Richtige in die Massen bringen.«
    »Ah, die Massen!« wehrte er ab, und wir redeten von etwas anderem. –
    Am andern Tag standen wir im Aufkirchener Gottesacker zwischen den frisch geschmückten Gräbern. Die feuchtglänzende schwarze Erde auf unserem Grab war noch gehügelt. Vor einiger Zeit war der Zwerg, die »alte Resl«, gestorben. Späte Rosen und »Tag- und Nachtschatten« hatte Mutter an den Grabrand gepflanzt, und wieder, wie stets, wenn sie so dastand, sagte sie: »Die hat die Emma sich gewünscht. Die hat sie so gern gehabt.«
    Da standen wir: der Maurus und die Theres, die Annamarie, die drei Buben vom gefallenen Maxl, die Moni, ich und unsere Mutter. Das ganze Leben mit all seinen Gegensätzen, seinen Streitigkeiten und dem wenigen an Freude und Glück wucherte in jedem von uns. In dem einen heftiger, in dem anderen ruhiger, aber jetzt schwieg wenigstens für die kurze Zeit alles. – –
    Ich blieb länger, als ich wollte, drei Tage. Meine Mutter war glücklich.
    »Ich versteh’ das gar nicht, wie man immer streiten kann!« klagte sie mir öfter über Theres und Maurus. »Grad’ ist’s, als ob sich jedes selber nicht mag! … Ich weiß nicht, Oskar, du bist doch gar nicht so! Mit dir kann man alles reden … Warum kommen denn die zwei nie aus?«
    »Ich bin ja auch nicht dauernd daheim, Mutter«, meinte ich, »weiß Gott, ob ich nicht auch streiten tät’ …«
    Komisch, das glaubte sie nicht.
    »Tu mir den Gefallen, red doch du einmal mitm Maurus und mit der Resl.«
    Schon oft hatte ich es versucht. Immer war es vergeblich gewesen. »Tja, du hast auch deine Sorgen … Du brauchst deinen Kopf für was anderes«, meinte sie und sah mir wehmütig in die Augen. »Hm, und jetzt gehst du wieder fort, hm … Komm doch öfter! Das tut mir jedesmal so wohl.« Ich nickte und versprach es.
    Drunten ging ich noch in die Nähstube zur Theres, mit der ich nie viel anzufangen wußte, und verabschiedete mich, dann kam ich zum Maurus.
    »So fährst du jetzt wieder?« sagte der. »Wart, ich hab’ ein paar gute Zigarren für dich!« Er holte aus dem Laden ein kleines Päckchen. »Und das andere ist für die Mirjam.«
    Ich drückte der Mimi die Hand, und er brachte mich zur Tür. Dort schaute er mich nochmal an und sagte: »Schau dir einmal die Römische Geschichte an, und denk an mich … Laß dir’s gut gehen, Oskar! …« Wir drückten einander die Hand, und schnell ging ich weiter. –
    Die regengepeitschten Novemberstürme kamen. Die Straßenkehrer fegten die letzten Wahlzettel und Flugblätter weg. Die naßkalten Winde heulten durch die Straßen und Gassen. Das Leben bekam wieder sein mürrisch-tristes Gesicht. Alle wirtschaftlichen und politischen Experimente der Regierung Papen waren im Nichts verlaufen. Nur eins war endgültig gewiß geworden: Die Republik hatte aufgehört. Ihre Spielregeln nahm kein Mensch mehr ernst. Es schien überhaupt, als ob auch niemand mehr die Politik ernst nähme. Jeder ließ sich einfach fatalistisch treiben.
    Ohne Überraschung, fast mit demselben Gleichmut, mit dem sie eines Morgens erwachten und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher