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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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nur deinen Gott nicht. Der macht alles wieder recht. Herzlichen Grus von deiner Mutter
    – Auf Wiedersehen!«
    Ich habe sie nie wiedergesehen …

Epilog und Verklärung
    Es war weit, weit entfernt von meiner Heimat, in Tiflis, in den letzten Septembertagen 1934 – da dachte ich mit Sehnsucht und Rührung an meine alte Mutter und an ihr einfaches Leben.
    Auf einer sehr abwechslungsreichen Studienreise mit Freunden durch einen Teil des sowjetrussischen Südens, nach sorglos-heiteren Wochen in einer ungewohnten Fremde, die voll von ermutigenden Erlebnissen gewesen waren, befielen mich diese Gedanken ganz plötzlich, fast übermächtig. Vergeblich suchte ich mir zu erklären, aus welchen Zusammenhängen sie so jäh hervorgebrochen sein mochten, doch je mehr ich mich damit beschäftigte, um so überraschter wurde ich.
    Unvergeßliche Eindrücke, fremde Städte und Landschaften, eine kaum entwirrbare Vielfalt unbekannter Volksstämme mit eigentümlichen Sitten und Gebräuchen, junge und alte Menschen aus allen Berufen mit völlig anderen Lebensformen, unvergleichliche soziale Einrichtungen, mächtige Industrieanlagen, kleinere und größere landwirtschaftliche Kollektive, herrliche Erholungsheime für Arbeiter und Bauern – einen erstaunlich lebendigen Riesenstaat, eine Welt, die von Grund auf anders aussah als diejenige, aus der ich gekommen war, hatte ich kennengelernt. Phantastisch erschien mir die Veränderung, wenn ich das Rußland der letzten fünfzig Jahre, von dem ich durch das Studium seiner Geschichte und Politik, seiner Literatur und sozialen Lage ein halbwegs zutreffendes Bild gewonnen hatte, zum Vergleich mit heute heranzog. Und nichts an dieser glücklich verwirrten, hingerissenen Stimmung verwehte, wenn bei beruhigtem, nüchternem Nachdenken alle Dinge und Erscheinungen wieder die faßbare Form und ihr menschliches Maß angenommen hatten.
    Diesem Nachdenken nämlich drängte sich sonderbarerweise stets die Erinnerung an das langsame Werden meines Heimatdorfes auf, von den Erzählungen meiner Eltern bis zu meinen frühesten Jugenderlebnissen, und dabei wurde das Überraschende und scheinbar Fremde auf einmal leicht und gewohnt.
    Ich glaubte daheim zu sein, wenn ich in einem Sowjetdorf die Kinder und Kollektivbauern betrachtete, mit welch erregter Neugier sie einen neu angekommenen Traktor oder eine komplizierte Erntemaschine anstaunten und scheu betasteten, mit welch unverkennbarem anfänglichem Zweifel, aber gespannt und nach und nach fast andächtig sie den Erklärungen des Maschinisten zuhörten und seine Handgriffe verfolgten, wie sie kurz erschraken, wenn der Traktor zu fauchen begann, und wie sie schließlich vor wilder Freude laut auflachten, brüllten, sprangen und jubelnd mitliefen, wenn das ungeschlachte Ding sich in Bewegung setzte und mit der Maschine auf das Feld rollte.
    Wann hatte ich Ähnliches erlebt?
    Daheim als Zehnjähriger!
    Schon wochenlang war in unsrem Dorf heftig darüber gesprochen worden, daß der Kramerfeicht in der Stadt einen Elektromotor bestellt hatte. Es wurde bezweifelt, wenngleich der Bauer kein Geheimnis daraus machte. Es wurde auch insgeheim verübelt. Es schien unglaubhaft, denn der Kramerfeicht war doch ein ganz nüchterner Mensch, der durchaus am Alten hing. Zudem war er ein sehr genau rechnender Geizhals. Er, sein Weib und seine Kinder rackerten vom frühesten Morgen bis spät in die Nacht hinein fast unausgesetzt. Sie gönnten sich nichts, nicht einmal einen ausgiebigen Schlaf. Allem, was außer ihrer Arbeit und ihrem ererbten Glauben lag, waren sie unzugänglich.
    Der Kramerfeicht zimmerte ein hölzernes Gehäuse in seiner Wagenremise. Wir Kinder sahen, wie der Maurer einen Betonsockel auf dem Boden anlegte. Einmal fuhr der Bauer auf die Bahnstation nach Starnberg, am anderen Tag arbeiteten zwei fremde Männer in blauen Monteuranzügen im Holzverschlag der Remise an einem schwerfälligen, mit grünem Blech umkleideten Ding, das an der Seite ein größeres und ein kleineres Schwungrad hatte und auf dem Betonsockel stand. Sie zogen Drähte, prüften die Enden, dabei zuckten kleine Funken auf. Sie verbanden diese Drähte über dem Gehäuse, und oben im Gebälk der Remise leuchteten endlich Glühbirnen. Der eine Monteur riß einen Hebel nach rechts, und auf einmal fingen die zwei Schwungräder an dem grünen Ding surrend zu laufen an.
    Wir Kinder liefen nach Hause und schrien, zur Kuchltür hereinstürzend: »Er hat einen Montor! Er hat ihn schon laufen lassen! Er
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