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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Autoren: Katherine Webb
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Jugendlichkeit noch betont. Seine Wangen sind gerötet, weil er mit dem Fahrrad aus dem Ort zurückgefahren ist. Seine großen blauen Augen haben noch immer diesen unschuldigen Ausdruck, der Hesters Herz schon bei ihrer ersten Begegnung erobert hat, und seine Haut ist weich und glatt. Er bleibt mit einem Arm im Ärmel seines Mantels hängen, und Hester versucht ihm zu helfen, doch sein schwerer lederner Ranzen behindert sie. Sie kämpfen einen Moment lang damit, bis sich ihre Blicke treffen und beide lachen müssen.
    »Wie war dein Nachmittag, Bertie?«, erkundigt sich Hester, während sie wieder auf einem Stuhl Platz nimmt.
    »Sehr angenehm, danke, Hetty. Ich habe alle angetroffen, die um meinen Besuch gebeten hatten, und in allen Fällen bis auf einen konnte ich in dieser oder jener Angelegenheit helfen. Und auf dem Heimweg habe ich ein prächtiges Pfauenauge gesehen – das erste dieses Jahr.«
    »Und, hast du es gefangen?«, fragt Hester. Albert hat stets ein feines Schmetterlingsnetz und einen Sammelbehälter in der Tasche für den Fall, dass er ein seltenes Exemplar entdeckt.
    »Nein, das erschien mir ein wenig unfair so früh im Jahr. Außerdem ist das Tagpfauenauge wahrlich nicht exotisch zu nennen«, antwortet Albert und beugt sich vor, um seine Hosenbeine von den Fahrradklemmen zu befreien. Er holt sein Tagebuch aus dem Rucksack und klappt es mit dem langen Zeigefinger auf.
    »Nein, natürlich nicht«, stimmt Hester zu.
    »Und du, Liebes? Was gibt es Neues?«
    »Tja, ich fürchte, wir werden die Wäsche weiterhin außer Haus geben müssen.«
    »Ach ja? Was ist mit dem neuen Mädchen – kann das sich nicht darum kümmern?«, fragt Albert und hebt den Blick von seinen Aufzeichnungen. Aus den Rhododendren vor dem Fenster lässt eine Amsel ihren perlenden Gesang erklingen.
    »Ich denke nicht, nein. Sie ist recht schwächlich, und … nun ja, ich glaube kaum, dass sie genug Kraft in den Armen hat. Außerdem war sie krank.«
    »Oje. Na ja, wenn du meinst, Liebes.« Hester betrachtet ihren Mann wohlwollend. Die langen Koteletten umrahmen sein Gesicht wie liebevoll sich anschmiegende Hände. Zwar fand Hester die Fasson schon immer ein wenig zu ernst für ein so junges Gesicht, aber sie weiß, dass Albert sich den Backenbart hat wachsen lassen, um auf der Kanzel gesetzter zu wirken. In der Sonne schimmern die Härchen golden, aber in nassem Zustand sind sie dunkel. Albert spürt ihren prüfenden Blick und lächelt sie an. »Was ist, Liebling?«, fragt er.
    »Ich dachte nur gerade, welch eine gute Figur der Mann abgibt, den ich geheiratet habe«, antwortet Hester schüchtern. »Das ist nun beinahe ein Jahr her.« Albert nimmt ihre Hand. Er sitzt in seiner gewohnten Haltung, ein Bein über das andere geschlagen, sodass seine Hose ein wenig hochrutscht. Sie kann einen Fingerbreit weißer Haut über seinen Socken sehen, die ihn irgendwie verletzlich wirken lässt.
    »Ich bin derjenige, der sich am glücklichsten schätzen kann«, sagt er, und Hester errötet leicht.
    »Ich habe heute Nachmittag Mrs. Duff besucht«, erzählt sie.
    »Und wie geht es ihr?«
    »Etwas besser. Ich habe ihr etwas von meinem Zitronenlikör mitgebracht, den süßen, den sie besonders mag.«
    »Das war nett von dir, Liebes.«
    »Ihr jüngster Sohn ist ein prächtiger kleiner Kerl, und er weint überhaupt nicht, wenn ich ihn im Arm halte. Er betrachtet mich ganz ruhig mit so einem prüfenden Blick! Als mache er sich die ganze Zeit furchtbar ernste Gedanken über mich und käme dabei zu überaus bedeutsamen Schlüssen.« Hester lacht.
    »Das kann ein so kleines Kind gewiss nicht«, murmelt Albert.
    »Nein, da hast du wohl recht«, stimmt Hester zu. Albert vertieft sich wieder in sein Tagebuch. Sie wartet noch ein wenig, denn auf einmal schlägt ihr das Herz bis zum Hals. Dann nimmt sie all ihren Mut zusammen. »Wie sehr ich mich nach dem Tag sehne, wenn unser eigener Sohn geboren wird! Oder eine Tochter natürlich. Ich weiß, dass du ein ganz wunderbarer Vater sein wirst«, sagt sie strahlend und beobachtet ihren Mann erwartungsvoll. Als er nichts erwidert, steigt ihr die Hitze in die Wangen. Albert starrt noch immer auf sein Tagebuch, doch Hester bemerkt, dass er die Stirn runzelt und sein Füllfederhalter reglos verharrt. Die Feder hat mitten in einem Wort innegehalten und drückt sich in das Papier, sodass unter der Spitze ein Tintenfleck e rblüht. Albert räuspert sich leise und blickt endlich auf. Er schaut vage in ihre Richtung, sieht ihr
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