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Das Grab im Moor

Das Grab im Moor

Titel: Das Grab im Moor
Autoren: dtv
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wärmer ist als die Luft.
    Karl schluckte schwer. Allein bei dem Gedanken daran, dass in dem Boden unter seinen Füßen unzählige halb verweste, vom Moor konservierte Körper in alten, verrotteten Särge lagen, wurde ihm schwummerig.
    Sara stellte die Lilie auf Kapitän Schwarzholz' Grab beiseite. Sie steckte ihren Spaten in den Boden und trat kräftig auf die Oberkante des Blattes. Ein knirschender Laut war zu hören, als der Spaten in den Boden sank. Sie hob den Blick und sah Karl ernst an.
    »Bitte   … tu es für mich.«
    Karl wurde aus seinen Gedanken gerissen. Natürlich hatte Sara recht. Wenn ihre und Englas Träume bedeuteten, dass sie das Grab öffnen und ein altes Amulett herausholen mussten, ja, dann mussten sie es wohl versuchen. Ganz gleich, wie grässlich er das fand.
    Der Boden war weicher, als er erwartet hatte. Aus irgendeinem Grund war er um das Grab herum nicht gefroren und die Erde ließ sich ganz leicht beiseiteschaufeln.
    Eine ganze Weile sagten sie gar nichts.
    Ein paarmal glaubte Karl, huschende Schatten zu sehen, doch sobald er aufschaute, waren sie wieder verschwunden.
    Als sie eine Grube ausgehoben hatten, die vielleicht einen halben Meter tief war, hielt Sara plötzlich inne. Ihr Spaten war auf etwas Hartes gestoßen. Karl schielte zu ihr hinüber. Sie hatte rote Wangen und auch ihre Nasenspitze war rot gefroren, aber sie sah ernst und konzentriert aus.
    Karl nahm die Taschenlampe und leuchtete in das Grab hinunter. Eine Holzkiste. Mit jedem Spatenstich kam mehr von ihr zum Vorschein.
    Im Lichtkegel sah Karl das alte, modrige Holz eines einfachen vernagelten Sarges. Zwischen den Brettern blitzte hier und da etwas Weißes hervor. Knochen, dachte Karl und wunderte sich selbst darüber, dass er nicht ohnmächtig wurde.
     
    Sie wechselten einen Blick und machten sich daran, den Sarg so gut es ging freizulegen. Als sie gerade den letzten Rest Erde heruntergekratzt hatten, flog nicht weit von ihnen ein Schwarm Vögel auf und ließ die beiden erschrocken zusammenfahren. Ich frage mich, was sie aufgescheucht haben mag, dachte Karl, ohne dabei richtig Angst zu bekommen. Die ganze Situation war viel zu unwirklich.
    Sie hockten sich neben das Grab, jeder auf eine Seite.
    »Und was machen wir jetzt?«, murmelte Sara.
    Karl starrte in die Grube hinunter.
    »Wir öffnen ihn.«
    Auf der linken Seite, ungefähr in der Mitte, saß ein Haken. Karl schob ihn mit einem leisen Klicken zur Seite. Er holte ein paarmal tief Luft, um sich zu sammeln, und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was er vielleicht gleich unter den Brettern zu sehen bekam. Dann hob er den Deckel an . . .
    »Karl?«, sagte Sara mit zitternder Stimme.
    Während Karl den Deckel hochdrückte, hatte er die Augen fest zusammengekniffen. Vorsichtig, ganz vorsichtig öffnete er sie jetzt einen Spaltbreit und Sara richtete den Strahl der Taschenlampe in den offenen Sarg.
    In einem Haufen von Erde und Schlamm lag ein Skelett, das sie aus schwarzen Augenhöhlen anstarrte. Sein Mund grinste. Um die Knochen hingen zerschlissene Stofffetzen. In diesem Moment glitt ein lautloser Schatten über sie hinweg. Erschrocken duckte sich Karl, aber es war nur die Eule. Wie um sie besser im Blick zu behalten, ließ sie sich auf einem Baum in der Nähe nieder.
     
    Abwechselnd hielten Karl und Sara die Taschenlampe. Zuallererst suchten sie in Halshöhe nach dem Amulett, schließlich war das der Ort, an dem man einen solchen Schmuck am ehesten vermutet. Aber dort fanden sie nur Knochen und feuchte Erde, die muffig nach Moorwasser roch.
    Was, wenn es überhaupt kein Amulett gab? Was, wenn Kapitän Schwarzholz einfach . . . ein Kapitän war – und mitnichten ein Tischler namens Albert, der sich an einem Baum erhängt hatte und deshalb unter falschem Namen auf dem Cholerafriedhof beerdigt worden war. Was, wenn Sara doch verrückt geworden war . . .
    Sara reichte Karl die Taschenlampe und begann wild entschlossen, weiter unten im Sarg zwischen den Knochen in der Erde zu graben.
    Dort lag etwas!
    Genau da, wo einst der Magen von Albert dem Tischler gewesen sein musste, lag ein kleines Amulett, geschnitzt aus schwarzer Mooreiche.
    Das Amulett von Englas Zeichnungen und aus Saras Albtraum.
    »Er hat es geschluckt«, sagte Sara beeindruckt. »Albert der Tischler hat das Amulett verschluckt, bevor er sich erhängt hat, damit es nie wieder in die falschen Hände gelangen konnte.«
    Und als wollte sie ihr zustimmen, rief just in diesem Moment die Eule –
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