Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glück von Brins Fünf

Das Glück von Brins Fünf

Titel: Das Glück von Brins Fünf
Autoren: Cherry Wilder
Vom Netzwerk:
feinwollenen Tunika abgeschnitten. Sein Gesicht war breitstirnig und verschmälerte sich über eine gerade Nase zu einer langen Oberlippe und einem festen Kinn. Es hätte, in gewissen Positionen, ein menschliches Gesicht sein können, bis auf die Augen, die sehr groß waren, weit auseinander lagen und sich aus seinen Schläfen wölbten.
    Im Vergleich dazu hatte Scott Gale ein rundes Gesicht und einen runden Kopf, aber im Umhang mit Kapuze war er oft für einen Moruianer gehalten worden. Sein Haar und sein Bart waren schwarz; er hatte während seiner ersten Tage in Torin häufig seine irischen Vorfahren verflucht, die ihm blaue Augen verliehen hatten. Dieses merkwürdige Paar ging, Moruianisch sprechend, weiter bis zum Ufer des Sees. Esto, die Große Sonne, erschien über der Schulter eines Berges und verwandelte das Wasser des Sees in Gold.
    „Da“, sagte Dorn, „und nicht einmal ein Gedenkstein!“ Scott Gale lachte. „Ein Gedenkstein für den Verlust eines guten Luftschiffs“, sagte er.
    „Oh, aber es ist seltsam“, rief Dorn aus. „Fühlst du es denn nicht? Sich so deutlich an die Vergangenheit zu erinnern … Wir stehen hier, wo die Gesellschaft aus dem Jagdhaus stand …“
    Er blickte zurück zu dem ovalen Gebäude auf der Terrasse.
    „In dieser Nacht trugen sie Fackeln und Lanzen und ein Gatroy-Banner … Stern und Spindel.“ Er kniete am Wasserrand nieder, runzelte die Stirn und ließ einen Stein über das dampfende Wasser springen.
    „Ich habe die Geschichte gehört“, sagte Gale, „bis sie mir wie eine Geschichte aus meiner eigenen Kindheit vorkam. Ich weiß nicht, an was ich mich erinnere oder was du mir erzählt hast.“ Er zeigte zu einem schmalen Bach auf der anderen Seite des Sees.
    „War es dort, wo du mich ans Ufer gezogen hast?“
    „Ja“, sagte Dorn.
    Sie gingen weiter um die Spitze des Sees, wobei Dorn voranlief und über gestürzte Stämme kletterte. Als Gale ihn einholte, starrte Dorn auf einen bestimmten Felsen über dem kleinen Bach. Über den Felsen bog sich ein alter knorriger Baum, ein Bergschwarzdorn, in den der Blitz einst einschlug und eine Narbe auf einer Seite seines gekrümmten Stamms hinterließ. Der Felsen war zerkratzt und gekerbt mit Zeichen. Der Baum selbst war mit losen Garnknäueln von verschiedener Dicke befestigt und in bestimmte Muster verknotet.
    „Jemand hat es also nicht vergessen“, sagte Scott Gale. „Was sagen die Runen?“
    Sie gingen zum Baum, und Dorn kletterte auf den Felsen und tastete die größten Runen ab. Er las aus den geflochtenen Symbolen: „Gelobt sei unsere Mutter, der Nordwind, und Eddorn, der das große Glück für seine Familie fand.“ Dann tastete er ein anderes Runenband ab.
    „Sende uns ein Glück gleich dem Glück der Fünf von Brin.“
    Scott Gale schüttelte den Kopf und lächelte traurig. „Ich wünsche ihnen ein besseres Glück als dieses.“ Er trat zum Felsen und blickte mit Dorn zwischen Felsen und Baum hinab auf ein schmales, sorgfältig mit runden Steinen bedecktes Grab.
    Sie stiegen herunter und setzten sich auf einen Streifen weißen Sandes am Ufer.
    „Alles sollte erzählt werden“, sagte Dorn. „Es ist Teil der Weltgeschichte.“
    „Wie die Menschen nach Torin kamen?“
    „Unseren Teil dabei“, sagte Dorn, „den Teil, an den ich mich erinnere … jener erste Winter und der Frühling, der ihm folgte, als du dich zum erstenmal zur Familie geselltest und mit uns herumzogst.“
    „Dann mußt du es niederschreiben“, sagte Scott Gale. „Keiner könnte es so gut wie du. Du wirst recht bald Dorn Utragan sein … Utragan, der Schreiber in zwei Sprachen. Die erste in Torin.“
    „Es ist lange her“, sagte Dorn. „Ich bin kaum mehr der gleiche.“
    „Du bist noch nicht alt …“ Scott Gale grinste.
    Dorn zwinkerte und lachte. Er war im Begriff, einen Stein in den See zu werfen, aber statt dessen bat er, die Hand auf dem Mund, um Stille. Ein Vogel, etwa so groß wie ein Eisvogel, glitt aus den Bäumen und schwang hinab auf die Wasserfläche. Seine Flügel spritzten ein dunkles, schillerndes Blau auf.
    „Wie wird er denn genannt?“ fragte Dorn flüsternd.
    „Großer Wind“, sagte Scott Gale. „Es muß ein Taucher sein!“ Sie lachten so laut über den gemeinsamen Witz, daß der Vogel bestürzt davonflog.

 
1
     
     
     
    Ich will erzählen, wie wir unser Glück fanden, das große Glück von Brins Fünf, und wie es uns, einmal gefunden, über alle Traumspinnereien hinaus zugute kam.
    Ich bin Dorn, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher