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DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL 2: Edition Nancy Salchow (German Edition)

DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL 2: Edition Nancy Salchow (German Edition)

Titel: DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL 2: Edition Nancy Salchow (German Edition)
Autoren: Nancy Salchow
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sein, die Beileidsbekundungen und Annoncen zum ersten Mal seit langem zu betrachten. In den letzten Tagen hatte sie eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Der Schmerz, so tief er auch saß, fing langsam an, ein Teil von ihr zu werden, gegen den sie sich nicht mehr aufzulehnen versuchte. Und gerade das machte ihn auf seltsame Weise erträglich. Zumindest in hellen Momenten, wenn sie in den Gedanken an die Arbeit Ablenkung fand oder sich beim Spaziergang durch den Park ihrer Position im großen Ganzen des Universums bewusst wurde.
    Sie faltete den Ausschnitt zusammen und steckte ihn zurück unter das Gummiband. Als sie das Kästchen wieder zuklappte und den goldenen Verschluss in seine Fassung klemmte, tauchten plötzlich Bilder in ihrem Kopf auf, die sich in den vergangenen Monaten nur selten bemerkbar gemacht hatten. Viel zu sehr hatte sie sich darauf konzentriert, sie zu verdrängen. Die Schüsse, die sie nur vom Hörensagen kannte und die trotzdem noch Wochen nach dem schrecklichen Ereignis ihre Gedanken beherrscht hatten. Das Blut, das sich im lauwarmen Spätsommerregen auf dem Asphalt ausgebreitet hatte und den vorbeigehenden Menschen selbst Tage nach dem Drama noch ein Bild des Grauens bot.
    Sie spürte, wie ihr Mut ins Wanken geriet. Es tat ihr nicht gut, den Erinnerungen geballt den Zugang zu ihrem Bewusstsein zu gewähren. Sie würde lernen müssen, einzelne Bilder zuzulassen, während sie diese sorgsam von den restlichen Erinnerungen trennte. Aber auch das würde ihr noch gelingen.
    Sie öffnete die Seitentür des Schreibtisches und stellte das Kästchen auf das unterste Regal. Sie atmete ein. Wieder aus. Langsam schloss sie die Seitentür.
    Es war Zeit für einen Anruf bei Claudia. Vielleicht hatte sie Lust auf Kino. Und während sie feststellte, dass sie das erste Mal seit Monaten keine Einladung annahm, sondern sie selbst aussprach, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen.

    *

    Er klappte den Laptop auf und schob ihn auf den äußersten Winkel seiner Knie, bis die Sicht auf den Bildschirm optimal war. Es war kalt, aber trocken, und er war froh, dass ihm dieser Umstand die Umsetzung seines spontan gefassten Planes ermöglichte.
    Den Kragen seines Mantels hatte er aufgestellt, die altmodische, aber zweckmäßige Fellmütze bis über die Ohren gezogen und die Hände in praktischen Autohandschuhen verpackt, aus denen lediglich die Fingerkuppen ragten.
    Es war eine verrückte Idee, die Arbeit an seinem aktuellen Projekt ausgerechnet im Park fortzusetzen; deshalb hatte er es auch unterlassen, Marie von seinem Vorhaben zu erzählen. Dennoch wusste er, dass er es sich selbst nicht verzeihen würde, wenn er nach seinen gescheiterten Versuchen dem neuen Anhaltspunkt nicht nachgehen würde.
    Unauffällig musterte er die Menschen, die an seiner abgelegenen Bank vorüberkamen, und er ertappte sich bei der Feststellung, dass sich die Gesichtsausdrücke der Leute am Morgen tatsächlich ähnelten. Verbissene Mienen, eng zusammenstehende Augen, stramme Mundwinkel mit leichter Tendenz nach unten. Das waren sie also, die Morgenmenschen. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Mit jedem Brief war ihm Nita ein kleines bisschen vertrauter geworden - und mit ihr die Erkenntnis, dass das wirklich Interessante im Leben oft im Alltäglichen lag und dass es dessen Schicksal war, oftmals unentdeckt zu bleiben.
    Er war sich nicht sicher, ob er sich für den richtigen Park entschieden hatte. Neben diesem gab es in der Nähe noch zwei weitere; trotzdem hatte er das unumstößliche Gefühl, hier beginnen zu müssen. Keiner der anderen Parks war in seiner Anordnung und seinem lebhaften Treiben mit diesem vergleichbar. Wenn sie sich dem Beobachten von Morgen-, Mittags- und Abendmenschen hingab, dann ganz sicher an einem Ort wie diesen.
    Während er die Zeilen auf seinem Bildschirm nur kurz überflog, ließ er seinen Blick über den Rand des Laptops schweifen. Bis auf ein älteres Ehepaar hatte niemand auf einer der anderen Bänke Platz genommen, und auch die Leute, die an ihm vorbeihetzten, zeigten keinerlei Nita-Potenzial. Er stellte sich vor, wie sie durch den Park schlenderte, ohne sich irgendwo hinzusetzen. Die Hände in den Manteltaschen vergraben, musterte sie mit aufmerksamem Blick die Menschen um sich herum. Er war sich sicher, dass er sie erkennen würde. Und er hoffte auch, dass er den Mut aufbringen würde, sie anzusprechen, wenn sie seinen Aussichtspunkt passierte. Im entscheidenden Moment würde er wissen, was zu tun
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