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Das Gesetz

Das Gesetz

Titel: Das Gesetz
Autoren: Thomas Mann
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Mosen, dem Gottesmann, von dem man annahm, daß sein Stab die ersäufende Flut über die Macht Ägyptens gebracht habe. Die Verwechslung lag immer nahe. Wenn gerade das Volk nicht murrte, hatte Mose stets seine liebe Not, zu verhindern, daß es ihn selber für einen Gott, für den hielt, den er verkündete.
     

X
    Das war im Grunde so lächerlich nicht, denn was er den Armseligen zuzumuten begann, ging über alles Menschengewöhnliche und konnte kaum im Kopf eines Sterblichen entstanden sein. Der Mund blieb einem dabei offenstehen. Sogleich nach Mirjams Singetanz verbot er jeden weiteren Jubel über den Untergang der Ägypter. Er verkündete: Jahwe’s obere Scharen selbst seien im Begriffe gewesen, in das Siegeslied einzustimmen, aber der Heilige habe sie angelassen: »Wie, meine Geschöpfe versinken im Meer, und ihr wollt singen?«
    Diese kurze, aber erstaunliche Geschichte brachte er in Umlauf. Er fügte hinzu: »Du sollst dich des Falles deines Feindes nicht freuen; nicht sei dein Herz froh über sein Unglück.« Es war das erste Mal, daß dergestalt das ganze Gehudel, zwölftausend und einige hundert Köpfe, die dreitausend Waffenfähigen eingeschlossen, mit Du angesprochen wurden, dieser Redeform, die ihre Gesamtheit umfaßte und zugleich das Auge auf jeden einzelnen, Mann und Weib, Greis und Kind, richtete, einen jeden wie mit dem Finger vor die Brust traf, »Du sollst kein Freudengeschrei machen über den Fall deines Feindes.« Das war hochgradig unnatürlich! Aber sichtlich hing diese Unnatur mit der Unsichtbarkeit des Gottes Mose’s, der unser Gott sein wollte, zusammen. Den Bewußteren unter dem braunen Gehudel fing es zu dämmern an, was es meinte, und wie UnheimlichAnspruchsvolles es damit auf sich hatte, sich einem unsichtbaren Gott verschworen zu haben.
    Man war im Sinailande, und zwar in der Wüste Sur, einem unholden Gelände, das man nur verlassen würde, um in ein ebenso beweinenswertes, die Wüste Paran, zu gelangen. Warum diese Wüsten verschiedene Namen hatten, war unerfindlich; sie stießen dürr aneinander und war alles dasselbe steinige, in toten Hügeln hinlaufende, wasser- und fruchtlose Fluchgebreite, drei Tage lang und vier und fünf. Mose hatte gut getan, das ihm beim Schilfmeer erwachsene Ansehen ungesäumt zu jener übernatürlichen Einschärfung zu benutzen: alsbald schon wieder war er »dieser Mann Mose, der uns aus Ägypten geführt« – das hieß: »ins Unglück gebracht hat«, und lautes Murren schlug an sein Ohr. Nach dreien Tagen wurde das mitgenommene Wasser schmal. Tausende dürsteten, die unerbittliche Sonne zu Häupten und unter den Füßen die bare Trostlosigkeit, ob es nun diejenige noch der Wüste Sur oder schon die der Wüste Paran war. »Was sollen wir trinken?« Sie riefen es laut, ohne Zartgefühl für das Leiden des Führers an seiner Verantwortlichkeit. Er wünschte, ganz allein nichts zu trinken – nie wieder etwas zu trinken zu haben, wenn nur sie etwas gehabt hätten, damit er nicht hören müßte: »Warum hast du uns lassen aus Ägypten ziehen?«
    Allein zu leiden ist leichte Qual im Vergleiche mit der, für solches Gehudel aufkommen zu müssen, und Mose war ein sehr geplagter Mensch, blieb es auch alle Zeit – geplagt über alle Menschen auf Erden.
    Sehr bald denn auch gab es nichts mehr zu essen, denn wie lange hatten die eilig mitgenommenen Flachbrote wohl reichen können? »Was sollen wir essen?« Auch dieser Ruf erscholl nun, weinend und schimpfend, und Mose hatte schwere Stunden mit Gott unter vier Augen, wo er ihm vorhielt, wie hart es von ihm gewesen sei, die Last dieses ganzen Volkes auf ihn, seinen Knecht, zu legen. »Hab’ ich denn all das Volk empfangen und geboren«, fragte er, »daß du zu mir sagen magst: ›Trag es in deinen Armen!‹ Woher soll ich Speise nehmen, daß ich all diesem Volk gebe? Sie weinen vor mir und sprechen: ›Gib uns Fleisch, daß wir essen!‹ Ich kann allein soviel Volks nicht tragen, es ist mir zu schwer. Und willst du so mit mir tun, so erwürge mich lieber, daß ich mein Unglück und ihres nicht sehen müsse!« Und Jahwe ließ ihn nicht ganz im Stich. Die Tränkung angehend, so machten sie den fünften Tag, auf einer Hochebene, über die sie zogen, eine Quelle aus, mit Bäumen daran, die übrigens auch unter dem Namen ›Quelle Mara‹ auf der Karte verzeichnet war, die Joschua im Kopfe trug. Zwar schmeckte ihr Wasser widerlich, dank unzuträglicher Beisätze, was bittere Enttäuschung und weit hinrollendes Murren
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