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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Dazu hätte er sich direkt ans Ufer setzen
müssen, und dort wucherte das Gebüsch. Diese Stelle am Ufer
der Außenalster schien für ganz andere Zwecke geeignet.
         Sie
riss sich zusammen. Es gab keinen Grund, sich wie eine missbrauchte
Unschuld zu benehmen. Der Mann an ihrer Seite war ihr zukünftiger
Gemahl, um den viele Frauen sie beneideten. Selbst wenn sie nicht
seine erste Geliebte gewesen war, würden nach ihr keine anderen
mehr folgen.
         »Wenn
die Leute in China komisch aussehen, brauchst du wenigstens keine
Angst zu haben, dass ich dir untreu werden könnte«,
entgegnete sie in dem leichten, spöttischen Plauderton, den
Anton schätzte. Er zuckte nur mit den Schultern.
         »Da
hast du wohl Recht. Mit den kleinwüchsigen Chinamännern
kann ich es auch als zitteriger Tattergreis, der am Stock geht, noch
aufnehmen.«
         Dann
richtete er sich auf und streifte Grashalme aus seinen honigfarbenen
Locken.
         »Wann
müssen wir zurück?«, fragte er nur.
         »Ich
sollte bald schon bei Sophie auftauchen«, erwiderte Viktoria
mit plötzlicher Unruhe. »Sie muss von meiner Lüge,
dass wir den Ausflug gemeinsam unternahmen, erfahren, um mich im
Notfall zu decken.«
         Kurz
überkam sie ein Anflug von Zweifel, ob der Plan gelingen würde.
Aber Sophie war seit Kindertagen ihre engste Vertraute.
         »Na
dann«, meinte Anton und knüpfte sein Jackett zu, »sollten
wir in die Stadt aufbrechen. Wohnt der Ehemann dieser Sophie nicht am
Nikolaifleet?«
         Viktoria
nickte und streifte den Rock wieder über das weiße Leinen
ihrer Unterwäsche.
         »Du
musst mir helfen, das Korsett wieder zuzuschnüren. Gewöhnlich
macht das meine Zofe, aber die ist im Moment abwesend.«
         Anton
stieß ein Kichern aus und zerrte energisch an der Verschnürung.
Viktoria schnappte nach Luft. Magda war dabei sanfter, aber
vielleicht fehlte Männern das nötige Feingefühl, da
ihre Körper nicht derart eingezwängt wurden.
         »Ich
frage mich, wie ihr Frauen in so einer engen Rüstung überhaupt
atmen könnt«, bestätigte Anton diese Vermutung, doch
mit einem Kuss auf ihren Rücken, bevor er ihr die Jacke reichte,
besänftigte er ihren Unmut. Als sie auf ihr Pferd zuging,
bohrten Stiche sich in ihren Unterleib. Es konnte nicht immer so
sein, sagte sie sich. Die meisten verheirateten Frauen gingen ohne
schmerzverzerrte Gesichter durch die Welt. Sie nutzte einen
herumliegenden Stein als Trittbrett, um allein in den Damensattel zu
kommen, und war zum ersten Mal in ihrem Leben erleichtert, nicht
breitbeinig zu Pferd sitzen zu müssen wie ein Mann.
         Sie
ritten die Alster entlang, bis Bauernhäuser allmählich von
mehrstöckigen Gebäuden abgelöst wurden, die Arbeiter
beherbergten. Auf der Binnenalster tummelten sich Schiffe. Ein
kleiner Dampfer voll neugieriger Schaulustiger kreuzte herum. In der
Badeanstalt plätscherten sorgfältig voneinander getrennt
Männer und Frauen, um die allerletzten warmen Tage des
sterbenden Sommers zu genießen. Schließlich erreichten
sie den Jungfernstieg und sahen elegant gekleidete Herrschaften in
vollem Bewusstsein ihrer Wichtigkeit auf und nieder flanieren.
Viktoria liebte es, im Getümmel der Stadt zu versinken. Sie
verstand nicht, warum Sophie darüber klagte, nun nicht mehr im
edlen, stillen Marienthal zu wohnen, wenn hier im Herzen Hamburgs das
Leben doch zu hören, zu sehen, ja förmlich zu spüren
war.
         Entschlossen
schlängelten sie sich an Karren und Kutschen in der Deichstraße
vorbei, bis schließlich die Fassaden jener großen Häuser
auftauchten, die zwischen dieser Straße und der Nikolaifleet
lagen. Eines davon war nun Sophies Heim.
         »Bei
dem vertrauten Geplauder zwischen zwei jungen Damen will ich nicht
stören«, meinte Anton vor der Eingangstür. Kurz
drückte er Viktoria an sich.
         »Heute
sind wir endgültig ein Paar geworden«, flüsterte er
in ihr Ohr und vertrieb dadurch alle Zweifel, ob sie das Richtige
getan hatten.
         Ein
Mann im Frack öffnete mit säuerlicher Miene die Tür.
         »Die
gnädige Frau erwartet Sie schon, Fräulein Virchow«,
meinte er, bevor Viktoria Gelegenheit hatte sich vorzustellen. Dann
wurde sie Treppen hochgeführt.
         Sophie
trug ein rotes, gerüschtes Hauskleid und saß in einem
höchst biederen Salon. Bilder von Wäldern mit und manchmal
auch ohne röhrenden Hirsch schmückten die Wände;
Sessel und Sofa waren mit glutrotem

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