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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen
Autoren: Jo Nesbø
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t j etzt weiter, bis wir vor dem Aufzug stehen. Wer eine falsche Bewegung macht, kriegt die erste Kugel verpasst. «
    Waaler trat an die Tür des Aufzugs und drückte den Knopf. Es grummelte in der Tiefe des Schachts.
    » Merkwürdig, wie still es in so einem Wohnheim während der Ferien ist, nicht wahr? « Waaler lächelte Sivertsen an. » Fast wie in einem Geisterhaus. «
    » Gib auf, Tom. « Harry bekam kaum einen Ton heraus, hatte Watte im Mund. » Es ist zu spät. Begreif, dass dir niemand glauben wird. «
    » Du beginnst dich zu wiederholen, verehrter Kollege «, sagte Waaler und warf einen Blick auf die Stockwerksanzeige des Aufzugs, die sich wie eine Kompassnadel langsam drehte. » Sie werden mir glauben, Harry. Aus dem einfachen Grund … « Er fuhr sich mit dem Finger über die Oberlippe. » Dass es niema n den mehr geben wird, der mir widersprechen kann. «
    Harry wusste, was Waaler vorhatte. Der Aufzug. Im Aufzug gab es keine Kameras. Da drin sollte es passieren. Er wusste nicht, wie Waaler das hinterher erklären wollte –dass es zu einem Handgemenge gekommen sei oder dass Harry plötzlich eine Pistole in den Händen gehabt habe –, aber er zweifelte keine Sekunde: Da drin sollten sie alle sterben, im Aufzug.
    » Papa … «, begann Oleg.
    » Alles wird gut, mein Junge «, sagte Harry und versuchte zu lächeln.
    » Ja «, sagte Waaler. » Alles wird gut. «
    Sie hörten ein Klicken, dann ein metallisches Schmatzen. Der Fahrstuhl näherte sich. Harry blickte auf den runden Türgriff. Er hatte die Pistole so befestigt, dass er in einer einzigen Bewegung den Schaft greifen, die Waffe losreißen und den Finger um den Abzug legen konnte.
    Der Aufzug stoppte mit einem dumpfen Dröhnen und zitterte leicht.
    Harry holte tief Luft und streckte die Hand aus. Die Fin ger glitten über die Innenseite des rauen Holzes. Er erwartete, den kalten, harten Stahl an seinen Fingern zu spüren. Nichts. Absolut nichts. Nur Holz. Und ein lose hängendes Klebeband.
    Tom Waaler seufzte. » Ich fürchte, die habe ich in den Mül l schlucker geworfen, Harry. Hast du wirklich gedacht, ich würde nicht auf deponierte Waffen achten? «
    Waaler zog die Eisentür mit einer Hand auf, während er die Waffe auf sie gerichtet hielt. » Der Junge zuerst. «
    Harry sah weg, als Oleg ihn anschaute. Er konnte dem frage n den Blick, dieser neuerlichen Vergewisserung, nicht begegnen. Stattdessen nickte Harry stumm und deutete auf die Tür. Oleg ging hinein und stellte sich an die hintere Wand der Kabine. Fahles Licht fiel von der Decke auf die braunen Wände aus Palisanderimitat, in das ein Mosaik von Liebeserklärungen, Parolen, Geschlechtsorganen und Grüßen eingeritzt war.
    » SCREW U «, stand über Olegs Kopf.
    Eine Grabkammer, dachte Harry. Das war eine Grabkammer.
    Er schob die freie Hand in die Jackentasche. Ausgerechnet ein Aufzug. Als Harry die linke Hand plötzlich mit Gewalt an sich zog, verlor Sven durch den Ruck an den Handschellen das Gleichgewicht und prallte gegen Waaler. Automatisch drehte sich Waaler zu Sivertsen um. Harry hob die rechte Hand über den Kopf und zielte wie ein Matador mit dem Schwert. Er wusste, dass er nur einen Versuch hatte. Dass Präzision wicht i ger war als Kraft.
    Dann ließ er die Hand fallen.
    Die Spitze des Stemmeisens drang mit einem reißenden Laut durch das Leder der Jacke. Das Metall bohrte sich in das weiche Gewebe über dem rechten Schlüsselbein, stach ein Loch in die Vena vulgaris, durchtrennte das Netzwerk der Nerven am Plexus brachialis und lähmte die motorischen Nerven, die in den Arm führten. Mit einem dumpfen Laut fiel die Pistole zu Boden und schlitterte auf die Trepp e z u. Waaler starrte überrascht auf seine rechte Schulter. Unter dem kleinen, grünen Schaft, der herau s ragte, baumelte schlaff sein Arm.
     
    W as für ein langer, beschissener Tag für Tom Waaler. Der ganze Mist hatte damit begonnen, dass er mit der Nachricht geweckt wurde, Harry sei mit Sivertsen abgehauen. Und dann war es schwieriger gewesen, ihn zu finden, als angenommen. Tom hatte den anderen in der Gruppe erklärt, dass sie sich nur des Jungen bedienen mussten. Doch die anderen hatten sich geweigert. Es sei zu riskant, hatten sie gesagt. Und die ganze Zeit über hatte er geahnt, dass er es am Ende alleine durchziehen würde. Das war immer so. Niemand wollte ihm helfen, keiner ihn aufhalten. Loyalität war nur eine Frage des Lohns; jeder war sich selbst der Nächste.
    Und der Mist wollte einfach kein Ende
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