Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Trompete zu Don Tico zurück. Zwei Wochen später verließ die Familie ***, um sich in die Zukunft zu wenden.

10 Malchuth

120
    Was mir jedoch betrüblich erscheint, ist, daß ich einige unbesonnene und törichte Götzendiener sehe, welche... die Vortrefflichkeit des Kultes der Ägypter imitieren; sie suchen nach der Gottheit, von der sie keinerlei Verständnis haben... womit sie nicht nur jene Götter und klugen Priester verhöhnen, sondern auch uns... und was noch schlimmer ist, womit sie triumphieren, da sie ihre närrischen Riten in solch hoher Achtung sehen... — Gräme dich nicht, o Momos, sprach Isis, denn das Schicksal hat den Wechsel zwischen der Finsternis und dem Lichte befohlen. — Das Übel ist nur, erwiderte Momos, daß sie wähnen, sie seien im Licht.
    Giordano Bruno, Spaccio della bestia trionfante — Die Vertreibung des triumphierenden Tieres, 3
     
    Ich müsste zufrieden sein. Ich habe begriffen. Sagten nicht einige von ihnen, die Rettung komme, wenn man die volle Erkenntnis erreicht hat?
    Ich habe begriffen. Ich müsste zufrieden sein. Wer hat gesagt, Zufriedenheit entspringe aus dem Betrachten der Ordnung, der verstandenen, genossenen, restlos verwirklichten, in Triumph und Freude verwirklichten Ordnung, dem Ende der Anstrengung? Alles ist klar, durchsichtig, das Auge ruht auf dem Ganzen und seinen Teilen, es sieht, wie sich die Teile zum Ganzen fügen, es erfaßt den Mittelpunkt, wo die Lymphe fließt, der Atem, die Wurzel aller Fragen...
    Ich müsste erschöpft sein vor Zufriedenheit. Aus dem Fenster des Arbeitszimmers von Onkel Carlo schaue ich auf den Hügel hinaus und auf den schmalen Mond, der gerade aufgeht. Der breite Buckel des Bricco, die sanfteren Rücken der Hügel im Hintergrund, sie erzählen die Geschichte langsamer, schläfriger Bewegungen der Mutter Erde, die, sich streckend und gähnend, blaue Weiten in der dunklen Glut von hundert Vulkanen formte und wieder zerstörte. Keine Grundrichtung der tellurischen Ströme erkennbar. Die Erde wälzte sich in ihrem Halbschlaf, warf Falten und vertauschte eine Oberfläche gegen die andere. Wo vorher Ammoniten grasten, jetzt Diamanten. Wo vorher Diamanten keimten, jetzt Weinreben. Die Logik der Moräne, der Lawine, des Erdrutsches. Lockere ein Steinchen, wirf es aufs Geratewohl irgendwohin, es bewegt sich, kullert zu Tal, lässt hinter sich Raum frei (ah, horror vacui!), ein anderes Steinchen fällt darauf, schon bildet sich eine Höhe. Oberflächen. Oberflächen von Oberflächen auf Oberflächen. Die Weisheit der Erde. Und Lias. Der Abgrund ist das Abflussloch einer Ebene. Warum einen Abfluss verehren?
    Doch warum schenkt mir das Begreifen keinen Frieden? Warum das Schicksal lieben, wenn es einen genauso tötet wie die Vorsehung und das Komplott der Archonten? Vielleicht habe ich noch nicht alles begriffen, mir fehlt noch ein Stück, ein Steinchen im Puzzle.
    Wo habe ich gelesen, dass man im allerletzten Moment, wenn sich das Leben, Oberfläche auf Oberfläche, ganz mit Erfahrung überkrustet hat, alles weiß: das Geheimnis, die Macht und die Herrlichkeit, warum man geboren ist, warum man stirbt und wie alles auch hätte anders sein können? Man ist weise geworden. Aber die größte Weisheit ist in jenem Moment, zu wissen, dass man es zu spät weiß. Man begreift alles, wenn es nichts mehr zu begreifen gibt.
    Jetzt weiß ich, was das Gesetz des Reiches ist, das Gesetz jener armen, verzweifelten und zerlumpten Malchuth, in die sich die Weisheit gerettet hat wie ins Exil, tastend nach ihrer verlorenen Klarheit suchend. Die Wahrheit von Malchuth, die einzige Wahrheit, die in der Nacht der Sefiroth leuchtet, ist, dass die Weisheit sich nackt in Malchuth enthüllt, und sie enthüllt, dass ihr Geheimnis im Nicht-Sein liegt, im Nicht-Existieren außer für einen einzigen Augenblick, nämlich den letzten. Danach fangen die Anderen wieder an.
    Und mit den Anderen die Diaboliker, die nach Abgründen suchen, in denen sich das Geheimnis verbirgt, das ihre Verrücktheit ist.
    Über die Hänge des Bricco erstrecken sich Reihen um Reihen von Weinreben. Ich kenne sie, ich habe ähnliche zu meiner Zeit gesehen. Keine Zahlenlehre hat jemals sagen können, ob sie auf- oder absteigen. Zwischen den Reihen aber — man muß barfuß gehen, mit einer Hornhaut an den Fersen seit Kindertagen — stehen Pfirsichbäume. Sie tragen gelbe Pfirsiche, die nur zwischen den Weinreben wachsen, man kann sie mit einem leichten Daumendruck zerteilen, und der Kern kommt fast
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher