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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: William Horwood
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Augenblick meines alten Lebens, in jedem einzelnen Augenblick. Und er mich auch, dessen bin ich gewiss.«
    »Warum ist er dann nicht hier?«
    »Er hat zu tun«, sagte sie wieder. »Nun erzähl aber ... wie hat er ausgesehen, dein Jack? Er war ein hübscher Bursche.«
    »Er sieht immer noch gut aus. Sie haben alle gut ausgesehen, die aus Brum. Sie hätten sehen sollen, wie sie mit ihren Knüppeln in die Halle gestürmt sind, er und seine Freunde, und gegen die Fyrd gekämpft haben.«
    »Wer waren diese Freunde?«
    Leetha legte die Stirn in Falten.
    »Es waren vier, aber ich kenne nur zwei der anderen mit Namen. Der eine war Feld, der einst in Bochum als Fyrd gedient hat, und der andere der berühmte Master Stort.«
    »Ah, dem bin ich ein- oder zweimal und häufiger begegnet. Tatsächlich habe ich Jack und Stort vor nicht allzu langer Zeit bei Paley’s Creek getroffen. Wahrscheinlich war der Vierte Barklice, ein Forstmeister, der auf seine Art recht ungewöhnlich ist.«
    »Sie kennen jeden, Modor, und Sie erinnern sich an alles.«
    »Das ist ein Fluch. Vergessen zu können ist ein Segen.«
    »Nun, wie auch immer, jedenfalls habe ich ihn gesehen und davon abgehalten, Witold Slew wehzutun.«
    »Wie geht es dem Kaiser?«
    »Er ist nicht mehr Kaiser und darum glücklicher als jemals zuvor. Jetzt ... vermisse ich ihn . Modor?«
    »Hm?«
    »Werden Sie jemals sterben?«
    »Noch nicht, meine Liebe. Ich werde für dich da sein, bis der Spiegel dich heimruft.«
    »Wird es meinen Söhnen wohl ergehen?«
    »Das kann ich dir nicht sagen«, wisperte der Wind in dem alten Dickicht, in dem Leetha saß und vor sich hin flüsterte. »Das kann ich dir nicht sagen.«
    »Arthur, kommst du mit zum Henge? Ich glaube, sie ist dort. Ich bin mir sicher. Vielleicht kann ich sie darin sehen, vielleicht kann sie mich dort hören.«
    »Ich glaube, sie hört dich überall ... und nein, ich komme nicht mit. Diesen Weg musst du allein gehen, als Mutter zur Tochter. Es ist nicht weit, Katherine, nur durch den Garten, an den Windspielen vorbei, zwischen den zwei größten Bäumen ...«
    »Ich habe Angst.«
    »Das ist verständlich. Es kann einem schon Angst machen, mit jemandem ganz offen zu sprechen. Hör zu, ich finde, eine Wanderung zum Kammweg würde uns guttun. Die Grillen vertreiben und so weiter. Wir brechen früh auf, picknicken, aber nicht dort, wo wir schon einmal waren, sondern ein Stück weiter. Noch vor Ende des Monats. Ein Neuanfang vor Herbstbeginn, so etwas in der Art.«
    Damit ließ er sie allein. Katherine ging mit einem finsteren Blick auf die lärmenden Windspiele zu den Koniferen. »Ich komme nicht hinein!«, sagte sie. »Ich gehe nicht nach Hyddenwelt zurück! Du wirst hier mit mir sprechen müssen!«
    Sie lächelte, lachte beinahe, aber dann erstarb ihr Lachen.
    Das Henge war leer und Judith fort.
    Sie setzte sich, lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baum und wartete geduldig, bis die Dämmerung anbrach und Judith zurückkam. Einfach so.
    »Es ist so seltsam«, sagte Katherine ruhig, »aber du siehst jetzt älter aus als ich!«
    Judith, so derb gekleidet wie immer, wirkte wie Ende zwanzig und sah müde aus. »Ich bin älter, denn ich altere schneller, aber es ist nicht ganz so, wie du denkst. Ich sehe die Dinge anders.«
    »Wie ist es dann?«
    »Ich gehe singend meinen Weg, durchschwimme tiefe Wasser und schlage tausend Triebe. Die Zeit ist anders, aber ich spüre mein Alter. Ich spüre, wie die Zeit vergeht. Die Erde ist jetzt ziemlich ruhig, aber nicht mehr lange. Mom?«
    »Ja? Du nennst mich noch so?« Er tat gut, dies sagen zu können.
    »Erzähl mir von dir und Dad.«
    »Was willst du wissen?«
    »Irgendwas. Was dir in den Sinn kommt. Wie du ihn kennengelernt hast.«
    »Oh.«
    So sprachen sie weiter, als gäbe es keine Zeit, und Katherine wusste, dass es das Ende war, das letzte Mal mit ihrer Tochter. Das Jetzt, dieser Augenblick, war alles. Bis sie sich schließlich, als es dunkel war, frei fühlte wie ein Vogel. Trauer und Wut fielen von ihr ab, irgendwo ins Gras, waren fort. Sie fühlte sich befreit.
    »Mom ...?«
    »Ja, Judith?«
    »Wie ist es, wenn man verliebt ist?«
    »Wie ... wie ...« Katherine musste lachen, konnte nicht antworten.
    »Kennst du Bedwyn Stort?«
    »Natürlich. Er ist der Beste der Hydden, denn er besitzt eine Gabe, die ihn über alle anderen erhebt. Er macht andere glücklich.«
    »Erzähl mir von ihm.«
    Katherine tat es.
    »Weiter.«
    Katherine erzählte noch mehr, und jetzt lachten sie beide.
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