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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition)
Autoren: Scarlett Thomas
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ist. Kannst du dir das vorstellen?»
    «Hast du schon mit ihm gesprochen?»
    «Nein, aber er hat gesimst. Eigentlich sollte er mir simsen, wenn er in Gatwick gelandet ist; dann hätte ich noch jede Menge Zeit gehabt, nach Hause zu fahren, mich umzuziehen, ein bisschen Unordnung zu machen und so. Als die SMS dann kam, dachte ich mir, aha, Bob ist jetzt in Gatwick – das war in etwa die passende Zeit. Und Mark und ich waren gerade im Bett, also habe ich sie nicht gleich gelesen. Ich meine, es dauert ja schließlich mindestens eine halbe Stunde, um erst mal aus dem Flieger und aus dem Flughafen zu kommen, dann noch mal eine halbe Stunde bis Victoria Station und zwanzig Minuten rüber nach Paddington, dann die drei Stunden Fahrt bis nach Totnes, wo er den Wagen stehen hatte, und die fünfundzwanzig Minuten bis hierher. Ich war also nicht gerade in Panik. Aber als ich sie dann endlich gelesen habe, war in der Zwischenzeit noch eine zweite gekommen: Bin in einer halben Stunde da . Und kurz danach kam noch eine – wo ich denn wäre, ob alles in Ordnung sei. Ich war echt kurz vorm Herzinfarkt.»
    Libby hatte eine Affäre mit Mark, einem leicht angegammelten Typen, der in Churston, einem Dorf am anderen Flussufer in der Nähe von Torbay, aufgeschlagen war, nachdem ihm sein Großvater dort eine Strandhütte vererbt hatte. Da wohnte er jetzt, ernährte sich von Fisch und übernahm alle Gelegenheitsjobs, die er in den umliegenden Häfen und Werften bekommen konnte. Er sparte, um sich irgendwann als Schiffsdesigner selbständig zu machen, doch laut Libby war er davon noch meilenweit entfernt. Libby arbeitete unter der Woche meistens zusammen mit Bob in ihrem Laden, und den Rest ihrer Zeit brachte sie damit zu, immer kompliziertere Sachen zu stricken und Mark mit dunkelroter Tinte Liebesbriefe zu schreiben, während ihr Mann auf seiner E-Gitarre spielte oder die Buchhaltung für den Laden erledigte. Sie hatte einen Lesezirkel in der Bücherei von Churston erfunden, um für Bob eine Erklärung zu haben, warum sie jeden Freitagabend dorthin fuhr. Außerdem sah sie Mark immer mittwochs in ihrem Strickkurs, was allerdings nicht ganz unproblematisch war, da jederzeit die Gefahr bestand, dass Bob unerwartet auftauchte und übrig gebliebenen Kuchen aus dem Laden vorbeibrachte oder eine der älteren Damen bemerkte, wie Mark Libby ans Knie fasste. An diesem Wochenende war jedoch alles anders, denn Bob war zu seiner Großtante und seinem Großonkel nach Deutschland geflogen. Und Libby war seit Freitag ununterbrochen bei Mark.
    «Dann warst du also gestern Abend bei mir. Und …?»
    Ich zog die Stirn in Falten. Wir wussten beide, dass Libby eigentlich nie einen kompletten Abend bei mir zu Hause verbrachte. Manchmal, in letzter Zeit aber auch nicht mehr so häufig, kam sie mit einer Flasche Wein aus dem Laden vorbei. Dann setzten wir uns an den Küchentisch, während Christopher wenige Meter entfernt auf dem Sofa vor sich hin köchelte, sich über unsere illegale Satellitenanlage amerikanische Nachrichtensendungen oder Dokumentarfilme über Diktatoren ansah und die ganze Zeit vor sich hin murmelte, wie korrupt die Welt doch sei und wie habgierig die Reichen. Das machte er mit Absicht, denn Libby hatte Geld, und das gefiel ihm nicht. Inzwischen traf ich mich meistens im Pub mit Libby, obwohl Christopher sich immer wieder beklagte, wenn ich ausging und ihn allein zu Hause hocken ließ. B. hatte bisher eifrig weiter herumgeschnüffelt, doch jetzt stemmte sie die Vorderpfoten an die Fahrertür und streckte winselnd die Schnauze zum Fenster herein. Sie wollte einsteigen, denn sie fuhr für ihr Leben gern im Auto mit. Libby tätschelte ihr den Kopf, sah aber kaum zu ihr hin.
    «Stimmt … Ich muss wohl meinen Schlüssel verloren haben.» Sie improvisierte wild drauflos. «Wir, also du und ich, waren gestern Abend noch was trinken, und dabei habe ich meinen Schlüssel verloren und musste bei dir übernachten. Ich bin ziemlich betrunken gewesen und wollte Bob nicht beunruhigen, weil er ja sowieso in Deutschland war. Und heute bin ich dann losgezogen, um den Schlüssel zu suchen, womit ich überhaupt gerade beschäftigt war, als seine Nachrichten kamen. Und ich hatte das Handy bei dir gelassen, deshalb …»
    «Aber du bist doch mit dem Wagen unterwegs. Hast du den Hausschlüssel extra? Ich dachte, du hast alle Schlüssel am selben Schlüsselbund.»
    Libby sah zu Boden. «Vielleicht habe ich die Schlüssel ja wiedergefunden … Ach verdammt!
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