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Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch
Autoren: Hannes Nygaard
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sich
manchmal mehrfach in der Woche um die Pflege des Grabes kümmern. Bei gutem
Wetter sitzen sie dort, und einige halten auch Zwiesprache mit ihrem Partner.
Obwohl ich das seit Jahrzehnten kenne, berührt es mich immer noch«, erzählte
Vollstedt. Dann senkte er seine Stimme. »Das wird nur übertroffen von den
Gräbern, in denen Eltern ihre Kindern beerdigt haben.« Er schüttelte sich.
»Daran möchte ich nicht denken.« Plötzlich straffte er sich. »Was ist das für
ein makabrer Scherz, den sich irgendwelche Leute ausgedacht haben?«
    Â»Das ist kein Scherz«, entgegnete Christoph. »Auch dumme und rohe
Scherze haben ihre Grenzen. Hier steckt etwas anderes dahinter. Da hat jemand
Rache genommen.«
    Â»Rache?« Der Friedhofsarbeiter sah Christoph ungläubig an.
    Der nickte. »Ja. Wer so viel Mühe auf sich nimmt, ein Grab auf so
perfide Weise zu schänden, muss einen abgrundtiefen Hass gegenüber dem Verstorbenen
hegen. Der muss so tief sitzen, dass auch zwei Jahre nach der Beerdigung der
Hass so unbändig ist, dass jemand diese Anstrengung auf sich nimmt, aber auch
ein großes Risiko, entdeckt zu werden.«
    Â»Und es war eine gut vorbereitete Tat«, ergänzte Große Jäger. »Kein
spontaner Entschluss.«
    Â»Aber wieso?« Vollstedt sah von einem zum anderen.
    Â»Zunächst muss man die Örtlichkeiten auskundschaften, zum Beispiel
ob es ein Loch im Zaun gibt, durch das der oder die Täter geschlüpft sind. Dann
müssen die benötigten Arbeitsmaterialien beschafft werden. Schaufel. Beil. Aber
vor allem … woher nimmt man die erforderliche Menge an Exkrementen?
Ersparen wir uns Einzelheiten«, beschloss der Oberkommissar.
    Er bot dem Friedhofsarbeiter eine Zigarette an. Schweigend rauchten
sie, während Christoph seinen Blick über die Wipfel der Bäume schweifen ließ.
    Ganz langsam lichtete sich der Nebel und zog sich zurück, aber nicht
gleichmäßig. Es schien, als würden sich einzelne dichtere Schwaden an manchen
Stellen festsetzen, während ein Stück weiter das Grün im feuchten Glanz eines
trüben Morgens schimmerte.
    Eine Dreiviertelstunde nach dem Anruf trafen die drei Mitarbeiter
der Spurensicherung mit ihrem alten VW LT ein.
    Â»Da kommt Klaus«, sagte Große Jäger, als er das Husten und Niesen
hörte, das charakteristisch für den kleinen Hauptkommissar mit den fast nicht
mehr wahrzunehmenden kurzen Haaren war, die zumindest an den noch nicht völlig
kahlen Stellen einen Hauch von Kopfhaar andeuteten.
    Â»Hier sind wir«, rief Große Jäger, als die Männer um die Ecke bogen.
»Moin, Klaus. Dein Niesen wirkt bei Nebel wie ein Echolot.«
    Â»Spar dir deinen Kommentar«, erwiderte Jürgensen. »Ich bin immer nur
dann Allergiker, wenn ich zu euch an die Westküste kommen muss. Ich bete seit
Jahren, dass endlich eine große Sturmflut kommt und euch wegspült.«
    Â»Und Flensburg zur Insel macht?«
    Â»Zur Insel der Glückseligen. Aber das sind wir jetzt schon. Was habt
ihr zu bieten?« Jürgensen schnupperte in der Luft.
    Â»Eine Leiche.«
    Â»Eine?« Sein ausgestreckter Arm beschrieb einen Halbkreis. »Ich
vermute – viele.«
    Â»Ja«, bestätigte Große Jäger. »Und die wollen wir alle nacheinander
obduzieren. Fangen wir mit einer an, haben wir gedacht. Im Unterschied zu euch
Ostküstenbarbaren sind wir Nordfriesen ein bescheidenes und rechtschaffenes
Volk.«
    Jürgensen sah sich demonstrativ um. »Wo ist hier ein Nordfriese? Ich
sehe keinen.«
    Â»Hier sind ganz viele. Die haben wir vor Kannibalen wie dir aber gut
versteckt, etwa eineinhalb Meter unter der Erdoberfläche.«
    Â»Bringt ihr euch jetzt gegenseitig um? Endlich. Das ist auch eine
Lösung.«
    Â»Den letzten Toten hast du auf dem Gewissen. Als wir ihn gefunden
haben, hast du ihn mit deiner ewigen Erkältung so infiziert, dass die Leiche
ganz gestorben ist.«
    Jürgensen räusperte sich. »Wo müssen wir hin?«, schaltete er
urplötzlich auf Ernsthaftigkeit um.
    Christoph wäre enttäuscht gewesen, wenn es heute bei der Begrüßung
kein Geplänkel zwischen den beiden gegeben hätte.
    Wie in einer Prozession gingen sie zur Grabstelle Dr. Pferdekamps.
    Jürgensen warf einen Blick darauf. »Mein Gott«, sagte er. Das reichte.
Mit ernster Miene sah er Christoph an. »Wer macht so
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