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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen
Autoren: Erich Kästner
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gemütlich mit den Beinen.
    »Einem so die Ferien zu verhunzen!« murmelt Luise, aufrichtig verbittert.
    »Sie kann doch nichts dafür«, erklärt die pausbäckige Steffie.
    »Wenn nun jemand käme und sähe wie ich aus…«
    Trude lacht. »Du glaubst doch selber nicht, daß jemand anderer so blöd wäre, mit deinem Kopf herumzulaufen!«
    Steffie schmollt. Die anderen lachen. Sogar Luise verzieht das Gesicht.
    Da ertönt der Gong.
    »Die Fütterung der Raubtiere!« ruft Christine. Und die Mädchen springen von der Mauer herunter.
    Frau Muthesius sagt im Speisesaal zu Fräulein Ulrike: »Wir wollen unsere kleinen Doppelgängerinnen nebeneinander setzen.
    Vielleicht hilft eine Radikalkur!«
    Die Kinder strömen lärmend in den Saal. Schemel werden gerückt. Die Mädchen, die Dienst haben, schleppen dampfende Terrinen zu den Tischen. Andere füllen die Teller, die ihnen entgegengestreckt werden.
    Fräulein Ulrike tritt hinter Luise und Trude, tippt Trude leicht auf die Schulter und sagt: »Du setzt dich neben Hilde Sturm.«
    Trude dreht sich um und will etwas antworten. »Aber…«
    »Keine Widerrede, ja?«
    Trude zuckt die Achseln, steht auf und zieht maulend um.
    Die Löffel klappern. Der Platz neben Luise ist leer. Es ist erstaunlich, wie viele Blicke ein leerer Platz auf sich lenken kann.
    Dann schwenken wie auf ein Kommando alle Blicke zur Tür.
    Lotte ist eingetreten.
    »Da bist du ja endlich«, sagt Fräulein Ulrike. »Komm, ich will dir deinen Platz zeigen.« Sie bringt das stille, ernste Zopfmädchen zum Tisch. Luise blickt nicht auf, sondern ißt wütend ihre Suppe in sich hinein. Lotte setzt sich folgsam neben Luise und greift zum Löffel, obwohl ihr der Hals wie zugeschnürt ist.
    Die anderen kleinen Mädchen schielen hingerissen zu dem merkwürdigen Paar hinüber. Ein Kalb mit zwei bis drei Köpfen könnte nicht interessanter sein. Der dicken, pausbäckigen Steffie steht vor lauter Spannung der Mund offen.
    Luise kann sich nicht länger bezähmen. Und sie will’s auch gar nicht. Mit aller Kraft tritt sie unterm Tisch gegen Lottes Schienbein!
    Lotte zuckt vor Schmerz zusammen und preßt die Lippen fest aufeinander.
    Am Tisch der Erwachsenen sagt die Helferin Gerda kopfschüttelnd: »Es ist nicht zu fassen! Zwei wildfremde Mädchen –
    und eine solche Ähnlichkeit!«
    Fräulein Ulrike meint nachdenklich: »Vielleicht sind es astrologische Zwillinge?«
    »Was ist denn das nun wieder?« fragt Fräulein Gerda.
    »Astrologische Zwillinge?«
    »Es soll Menschen geben, die einander völlig gleichen, ohne im entferntesten verwandt zu sein. Sie sind aber im selben Bruchteil der gleichen Sekunde zur Welt gekommen!«
    Fräulein Gerda murmelt: »Ah!«
    Frau Muthesius nickt. »Ich hab’ einmal von einem Londoner Herrenschneider gelesen, der genau wie Eduard VII. der englische König, aussah. Zum Verwechseln ähnlich. Um so mehr als der Schneider den gleichen Spitzbart trug. Der König ließ den Mann in den Buckingham-Palast kommen und unterhielt sich lange mit ihm.«
    »Und die beiden waren tatsächlich in der gleichen Sekunde geboren worden?«
    »Ja. Es ließ sich zufälligerweise exakt feststellen.«
    »Und wie ging die Geschichte weiter?« fragt Gerda gespannt.
    »Der Herrenschneider mußte sich auf Wunsch des Königs den Spitzbart abrasieren lassen!«
    Während die anderen lachen, schaut Frau Muthesius nachdenklich zu dem Tisch hinüber, an dem die zwei kleinen Mädchen sitzen.
    Dann sagt sie:
    »Lotte Körner bekommt das Bett neben Luise Palffy! Sie werden sich aneinander gewöhnen müssen.«
    Es ist Nacht. Und alle Kinder schlafen. Bis auf zwei. Diese zwei haben einander den Rücken zugekehrt, tun, als schliefen sie fest, liegen aber mit offenen Augen da und starren vor sich hin.
    Luise blickt böse auf die silbernen Kringel, die der Mond auf ihr Bett malt. Plötzlich spitzt sie die Ohren. Sie hört leises, krampfhaft unterdrücktes Weinen.
    Lotte preßt die Hände auf den Mund. Was hatte ihr die Mutter beim Abschied gesagt: »Ich freue mich so, daß du ein paar Wochen mit vielen fröhlichen Kindern beisammen sein wirst! Du bist zu ernst für dein Alter, Lottchen! Viel zu ernst! Ich weiß, es liegt nicht an dir.
    Es liegt an mir. An meinem Beruf. Ich bin zuwenig zu Hause. Wenn ich heimkomme, bin ich müde. Und du hast inzwischen nicht gespielt wie andere Kinder, sondern aufgewaschen, gekocht, den Tisch gedeckt. Komm, bitte, mit tausend Lachfalten zurück, mein Hausmütterchen!«
    Und nun liegt sie hier in der
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