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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen
Autoren: Erich Kästner
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Fremde, neben einem bösen Mädchen, das sie haßt, weil sie ihm ähnlich sieht.
    Sie seufzt leise.
    Da soll man nun Lachfältchen kriegen!
    Lotte schluchzt vor sich hin.
    Plötzlich streicht eine kleine, fremde Hand unbeholfen über ihr Haar!
    Lottchen wird stocksteif vor Schreck.
    Vor Schreck?
    Luises Hand streicht schüchtern weiter.
    Der Mond schaut durchs große Schlafsaalfenster und staunt nicht schlecht: Da liegen zwei kleine Mädchen nebeneinander, die einander nicht anzusehen wagen, und die eine, die eben noch weinte, tastet jetzt mit ihrer Hand ganz langsam nach der streichelnden Hand der anderen.
    »Na gut«, denkt der alte, silberne Mond. »Da kann ich ja beruhigt untergehen!«
    Und das tut er denn auch.

ZWEITES KAPITEL
    Vom Unterschied zwischen Waffenstillstand und Frieden – Der Waschsaal als Frisiersalon – Das doppelte Lottchen – Trude kriegt eine Ohrfeige – Der Fotograf Eipeldauer und die Förstersfrau –Meine Mutti, unsere Mutti – Sogar Fräulein Ulrike hat etwas geahnt  

    Besaß der Waffenstillstand zwischen den zweien Wert und Dauer? Obwohl er ohne Verhandlungen und Worte geschlossen worden war? Ich möcht’s schon glauben. Aber vom Waffenstillstand zum Frieden ist ein weiter Weg. Auch bei Kindern. Oder?
    Sie wagten einander nicht anzusehen, als sie am nächsten Morgen aufwachten, als sie dann in ihren weißen, langen Nachthemden in den Waschsaal liefen, als sie sich, Schrank an Schrank, anzogen, als sie, Stuhl an Stuhl, beim Milchfrühstück saßen, und auch nicht, als sie nebeneinander, Lieder singend, am See entlangliefen und später mit den Helferinnen Reigen tanzten und Blumenkränze flochten. Ein einziges Mal kreuzten sich ihre raschen, huschenden Blicke, doch dann waren sie auch schon wieder erschrocken voneinander weggeglitten.
    Jetzt sitzt Fräulein Ulrike in der Wiese und liest einen wunderbaren Roman, in dem auf jeder Seite von Liebe die Rede ist.
    Manchmal läßt sie das Buch sinken und denkt an Herrn Rademacher, den Diplomingenieur, der bei ihrer Tante zur Untermiete wohnt.
    Rudolf heißt er. Ach, Rudolf!
    Luise spielt indessen mit ihren Freundinnen Völkerball. Aber sie ist nicht recht bei der Sache. Oft schaut sie sich um, als suche sie jemanden und könne ihn nicht finden.
    Trude fragt: »Wann beißt du denn nun endlich der Neuen die Nase ab, hm?«
    »Sei nicht so blöd!« sagt Luise.
    Christine blickt sie überrascht an. »Nanu! Ich denke, du hast eine Wut auf sie?«
    »Ich kann doch nicht jedem, auf den ich eine Wut habe, die Nase abbeißen«, erklärt Luise kühl. Und sie setzt hinzu: »Außerdem hab’  ich gar keine Wut auf sie.«
    »Aber gestern hattest du doch welche!« beharrt Steffie. »Und was für eine Wut!« ergänzt Monika. »Beim Abendbrot hast du sie unterm Tisch so gegen‘s Schienbein getreten, daß sie beinahe gebrüllt hätte!«
    »Na also«, stellt Trude mit sichtlicher Genugtuung fest. Luises Gefieder sträubt sich. »Wenn ihr nicht gleich aufhört«, ruft sie zornig, »kriegt ihr auch eins ans Schienbein!« Damit wendet sie sich um und rauscht davon.
    »Die weiß nicht, was sie will«, meint Christine und zuckt die Achseln.
    Lotte sitzt, ein Blumenkränzchen auf den Zöpfen, allein in der Wiese und ist damit beschäftigt, einen zweiten Kranz zu winden. Da fällt ein Schatten über ihre Schürze. Sie blickt auf.
    Luise steht vor ihr und tritt, verlegen und unschlüssig, von einem Bein aufs andere.
    Lotte wagt ein schmales Lächeln. Kaum, daß man’s sehen kann.
    Eigentlich nur mit der Lupe.
    Luise lächelt erleichtert zurück.
    Lotte hält den Kranz, den sie eben gewunden hat, hoch und fragt schüchtern: »Willst du ihn?«
    Luise läßt sich auf die Knie nieder und sagt leidenschaftlich: »Ja, aber nur, wenn du ihn mir aufsetzt!«
    Lotte drückt ihr den Kranz in die Locken. Dann nickt sie und fügt hinzu: »Schön!«
    Nun sitzen also die beiden ähnlichen Mädchen nebeneinander auf der Wiese, sind mutterseelenallein, schweigen und lächeln einander vorsichtig an.
    Dann atmet Luise schwer und fragt: »Bist du mir noch böse?«
    Lotte schüttelt den Kopf.
    Luise blickt zu Boden und stößt hervor: »Es kam so plötzlich!
    Der Autobus! Und dann du! So ein Schreck!«
    Lotte nickt. »So ein Schreck«, wiederholt sie.
    Luise beugt sich vor. »Eigentlich ist es furchtbar lustig, nein?«
    Lotte blickt ihr erstaunt in die übermütig blitzenden Augen.
    »Lustig?« Dann fragt sie leise: »Hast du Geschwister?«
    »Nein!«
    »Ich auch nicht«, sagt
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