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Das Bourne-Vermächtnis

Das Bourne-Vermächtnis

Titel: Das Bourne-Vermächtnis
Autoren: Robert Ludlum
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Zielfernrohr fand er David Webb, der jetzt allein vor der Healy Hall stand. Unmittelbar links neben ihm ragten Bäume auf. Von Zeit zu Zeit verdeckte ihn ein vorbeigehender Student. Chan holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Er zielte auf Webbs Kopf.
    Webb schüttelte den Kopf, als könne er so die Wirkung seiner Erinnerungen an die Vergangenheit loswerden, und konzentrierte sich nochmals auf seine unmittelbare Umgebung. Die jungen Blätter raschelten in der auffrischenden Brise, ihre Spitzen waren von Sonnenlicht vergoldet. In der Nähe lachte eine Studentin, die ihre Bücher an sich gedrückt trug, über die Pointe eines Witzes.
    Aus einem offenen Fenster wehte undeutlich Popmusik herab. Webb, der weiter an all die Dinge dachte, die er zu Rongsey hatte sagen wollen, war kurz davor, die Stufen zur Healy Hall hinaufzugehen, als ein leises Fffftt! an sein Ohr drang. Er reagierte instinktiv, trat in den gesprenkelten Schatten unter den Bäumen.
    Du wirst beschossen! , rief Bournes nur allzu vertraute Stimme, die er wieder in seinem Kopf hörte. Los, beweg dich! Und Webbs Körper reagierte hastig, während ein weiteres Geschoss aus einer Waffe mit Schalldämpfer die Baumrinde neben seiner Wange zersplittern ließ.
    Ein erstklassiger Schütze. Als Reaktion eines Organismus, der sich angegriffen sah, rasten Webb jetzt Bournes Gedanken durch den Kopf.
    Vor Webbs Augen stand die gewöhnliche Welt, aber
    die parallel dazu existierende außergewöhnliche Welt, Jason Bournes Welt – geheim, verschlossen, privilegiert, tödlich –, flammte in seiner Vorstellung auf wie Napalm.
    Binnen eines einzigen Herzschlags war er aus David Webbs Alltag gerissen und von allem und allen getrennt worden, die Webb nahe standen. Auch seine zufällige Begegnung mit Rongsey schien jetzt zu einem anderen Leben zu gehören. Hinter dem Baum stehend, wo der Scharfschütze ihn nicht sehen konnte, griff er um den Stamm und ertastete mit der Spitze des Zeigefingers das Einschussloch. Er hob den Kopf. Es war Jason Bourne, der die Schussbahn zu einem der Fenster im zweiten Stock eines Gebäudes auf der anderen Seite des Innenhofs zurückverfolgte.
    Überall um ihn herum liefen, schlenderten, redeten, diskutierten und debattierten Studenten der Georgetown University. Sie hatten natürlich nichts gesehen, und falls jemand zufällig etwas gehört hatte, erkannte er das Geräusch eines fliegenden Geschosses nicht und vergaß das sonderbare Zischen gleich wieder. Webb verließ seine Deckung hinter dem Baum und mischte sich rasch unter eine Gruppe von Studenten. Er bewegte sich eilig, passte sein Tempo aber möglichst ihrem an. Sie waren sein bester Schutz, weil sie die Visierlinie des Scharfschützen verdeckten.
    Er hatte das Gefühl, nur halb bei Bewusstsein zu sein: ein Schlafwandler, der trotzdem alles mit gesteigerter Wahrnehmungsfähigkeit sah und fühlte. Eine Komponente dieser Wahrnehmung war Verachtung für die Zivilisten – auch für David Webb –, die die gewöhnliche Welt bevölkerten.
    Nach dem zweiten Schuss hatte Chan sich verwirrt zurückgezogen. Verwirrung war ein Zustand, mit dem er nicht vertraut war. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, um zu analysieren, was passiert war. Statt wie von Chan erwartet in Panik zu geraten und wie ein ängstliches Schaf in die Healy Hall zurückzulaufen, hatte Webb gelassen Deckung hinter Bäumen gesucht. Schon das war unwahrscheinlich gewesen – und passte ganz und gar nicht zu dem in Spalkos Dossier kurz beschriebenen Mann –, aber dann hatte Webb mit Hilfe des Einschusslochs im Baumstamm die Flugbahn des zweiten Geschosses rekonstruiert. Indem er Studenten als Deckung benützte, war er jetzt zu diesem Gebäude unterwegs. Statt zu flüchten, ging er zum Angriff über. Das war unglaublich … Durch diese unerwartete Wendung leicht entnervt, zerlegte Chan rasch das Gewehr und verstaute es wieder im Rucksack. Webb hatte die Stufen vor dem Gebäude erreicht. Er würde in wenigen Minuten hier sein.
    Bourne löste sich aus dem Fußgängerstrom und rannte in das Gebäude. Drinnen stürmte er die Treppe in den zweiten Stock hinauf. Oben wandte er sich nach links.
    Die siebte Tür rechts: ein Seminarraum. Auf dem Korridor war das Stimmengewirr von Studenten aus aller Welt zu hören – Afrikaner, Asiaten, Südamerikaner, Europäer.
    Alle Gesichter, selbst nur flüchtig wahrgenommene, wurden von Jason Bournes fotografischem Gedächtnis registriert.
    Das halblaute Gemurmel der Studenten und ihr
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