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Das böse Auge

Das böse Auge

Titel: Das böse Auge
Autoren: Horst Hoffmann
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eingerichtet war, die die Valunen von ihren Raubzügen mitgebracht hatten.
    Sie verstanden eben nur dann keinen Spaß, wenn er nicht gleich bereit war, sein Amt als Märchenerzähler auszuüben.
    Luxon streckte Arme und Beine von sich und starrte auf die bemalte Höhlendecke. Was stellten die Bilder dar? Valunen, Graupferde, Menschen und seltsame Pflanzen. Wo gab es in dieser unfruchtbaren Gegend Pflanzen? Wozu dienten sie den Zwergen?
    Zu beiden Seiten neben dem Lager befanden sich niedrige Holzgestelle mit allerlei Schmuck und Prunkgegenständen darauf. Wem mochten die silbernen, kunstvoll verzierten Pokale einstmals gehört haben? Einem Fürsten, einem König gar? Hatten die Valunen sie nur geraubt oder das Blut ihrer Besitzer daraus getrunken?
    Luxon erschauerte bei dem Gedanken. Er wollte schlafen, fand jedoch noch keine Ruhe. Es war immer das gleiche. Irgendwann würde die bleierne Müdigkeit ihn doch überrumpeln. Vielleicht fürchtete er sich insgeheim davor. Der Schlaf war der Bruder des Todes.
    Ein Märchen fiel ihm ein, eine Geschichte, die er gestern noch erzählt hatte. Da ging es um einen Wanderer, der, ausgehungert und dem Verdursten nahe, endlich eine einsam gelegene Herberge fand. Er wurde freundlich aufgenommen, gepflegt und bewirtet, bis er wieder bei Kräften war.
    Als er sich kräftig genug fühlte, den Weg fortzusetzen, fielen die Wohltäter über ihn her, die nichts anderes waren als böse Zauberer, Ungeheuer in menschlicher Gestalt. Sie töteten ihn und hielten ein grausiges Mahl.
    War es das, was auch ihm bevorstehen sollte? Aber er wurde bei den Valunen nicht kräftiger, sondern von Tag zu Tag schwächer.
    Immer wieder mußte er sich vor Augen führen, daß sie, wenn auch nicht dämonisiert, so doch Geschöpfe der Düsterzone waren. Hier galten andere Gesetze als in Gorgan. Vielleicht wußten die Zwerge nicht einmal, daß sie ihn quälten. Sie brauchten einen Führer. Wahrscheinlich glaubten sie wahrhaftig, Luxon sei mit seinem Los zufrieden.
    Anfangs hatte er sie sogar gemocht. Da hatte er noch die Hoffnung, bald von hier fliehen zu können. Wenn die Dunkelheit aufriß, schien das Land im Norden zum Greifen nahe.
    Nein, dachte er. Sie sind nicht böse. Aber sie zehren mich aus!
    Nur in Augenblicken wie diesen, wenn sie ihn in seiner Höhle allein ließen, konnte er wirklich klar denken. Doch was auch immer er sich dann vornahm – es war vergessen, wenn sie wieder um ihm herum waren und ihn anblickten.
    So schwach wie vorhin, nachdem er zum zweitenmal seine Geschichte erzählt hatte, war er noch nie gewesen. Und zurückblickend glaubte Luxon nun zu wissen, was ihn so schwächte.
    Die Valunen hörten nicht nur zu. Etwas anderes geschah, wenn er zu ihnen sprach. Sie sogen nicht nur das Gehörte regelrecht in sich auf, sondern auch ihn selbst.
    Luxon brach der kalte Schweiß aus. Als er sah, daß sich einige Zwerge vor den Eingang schoben und ihre schrecklichen Augen auf ihn richteten, drehte er sich auf den Bauch und verbarg den Kopf in den Händen.
    Es schien alles zusammenzupassen.
    Ihre Häuptlinge starben nach kurzer Zeit, obwohl die Valunen sie so nötig brauchten. Töten würden sie sich nicht – zumindest nicht mit Absicht. Sie wußten wirklich nicht, warum sie sich ständig neue Erzähler und Hordenführer rauben oder erkaufen mußten. Diese kleinen, auf den ersten Blick so harmlos wirkenden Geschöpfe waren nichts anderes als Seelensauger. Sie saugten ihm allein mit ihren Blicken die Lebenskraft aus. Und auch das Gerede von dem neuen Häuptling, den sie sich holen wollten, sobald er »gegangen« sei, gewann eine grausame Bedeutung.
    Er würde nirgendwohin gehen können – außer ins Reich der Toten.
    Luxon drehte den Kopf und sah, daß die Zwerge am Höhleneingang Wache hielten. Sobald er in ihre Augen sah, erschienen ihm seine eigenen Gedanken als Phantastereien. Doch als er den Kopf wieder in die Hände legte, wußte er sicherer denn je, daß er verloren war, wenn ihm nicht bald die Flucht gelang.
    Aber wie? Sie ließen ihn nicht fort. Sie brauchten ihn nicht einmal mehr gewaltsam zurückzuholen. Nur ihre Blicke genügten, um ihn vergessen zu lassen.
    Und bald würden sie ihn wieder bitten, ihm neue Geschichten zu erzählen. Wenn sie ihn dann holten, mußte er einen Plan haben.
    In jenem unbekannten Land jenseits der Düsterzone lebten Menschen, die mit Sicherheit nicht gut auf die Zwerge zu sprechen waren. Wenn es ihm gelang, sich bis dorthin durchzuschlagen und sie um Hilfe zu
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