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Das böse Auge

Das böse Auge

Titel: Das böse Auge
Autoren: Horst Hoffmann
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die in der Senke saßen oder vor den Eingängen ihrer Höhlen kauerten, kam Bewegung. »Die Geschichte ist dumm. Arruf wird niemals fliehen können. In der Düsterzone ist er doch hilflos!«
    »Das werden wir sehen«, knurrte Luxon. »Vielleicht erzählt euch bald ein anderer einen besseren Schluß. So, und jetzt will ich schlafen und mir neue Geschichten für euch überlegen.«
    »Nein! Erzähle uns von Necron! Wir kennen Necron. Wir sagen uns immer seinen Namen auf. Warum müssen wir ihn kennen, Luxon?«
    Der Mann aus Gorgan seufzte.
    »Weil er euch eure Häuptlinge bringt. Weil er euch mich brachte.«
    »Erzähle uns davon!«
    Vier, fünf Valunen riefen es wieder im Chor. Luxon sah ein, daß sie ihn nicht von seinem Erzählerfelsen fortlassen würden, bevor er ihnen nicht auch diesen Wunsch erfüllt hatte.
    »Aber dann gebt ihr Ruhe! Versprecht mir das!«
    »Was ist das, versprechen?« fragte von ganz hinten ein Valune.
    »Ich darf in meine Höhle gehen, wenn ich euch von Necron erzählt habe, und ihr hindert mich nicht daran! Ich darf so lange schlafen, bis… bis die Düsternis das nächstemal aufreißt!«
    »Ja, das darfst du. Aber jetzt fang an«, forderte ihn der Zwerg auf dem Felsvorsprung heftig gestikulierend auf.
    Luxon atmete tief ein. Hatte er überhaupt noch die Kraft, diesen Felsen zu verlassen und zu seiner »Häuptlingshöhle« zu klettern?
    Warum war er so schwach?
    »Necron brachte mich euch und bekam dafür ein halbes Dutzend Graupferde und andere Waren von euch. Ich sollte euch durch Zuspruch aufrichten und euch ein Führer sein. Den braucht ihr, weil ihr so dumm wie eine Hammelherde seid. Aber ihr hattet noch Graupferde. Die hieltet ihr vor ihm versteckt und habt eines bei lebendigem Leibe aufgefressen, als der Händler fort war!« Selbst das Sprechen fiel immer schwerer. Doch Luxon hatte die Wut gepackt, als er sich nun in Erinnerung zurückrief, wie grausam und wild die Zwerge über das Pferd hergefallen war.
    »Freßt ihr auch Menschen, wenn sie euch in die Hände fallen?« schrie er sie an.
    »Natürlich«, antwortete einer, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres für sie. »Aber nicht unseren Häuptling.«
    Luxon starrte den Rufer an. In der Dunkelheit waren die Wesen nicht voneinander zu unterscheiden. Wie dunkle Flecke hoben sie sich nur schwach vom kahlen Boden ab.
    Sollte das gerade ein Trost für ihn gewesen sein? Oder eine Warnung? War der jeweilige Häuptling nur so lange vor dem Gefressenwerden geschützt, wie er Geschichten erzählen konnte?
    Oder bis ihn seine Kräfte verließen?
    Etwas, an das sich diese Geschöpfe auch erinnerten, war, daß ihnen ihre Häuptlinge wegstarben wie die Fliegen. Daher kam auch ihr stetiger Nachschubbedarf, der Necron gute Geschäfte sicherte.
    Warum die Häuptlinge starben, wußten die Zwerge nicht zu sagen – oder sie wollten es nicht. Hatte es mit dem zu tun, was Luxon schon jetzt so zu schaffen machte?
    Er wollte nicht mehr daran denken müssen, nur noch zur Höhle und ruhen. Die Valunen ließen tatsächlich von ihm ab und zogen sich aus der Senke zurück. Luxon kletterte vom Felsen und hatte einige Mühe, sich gerade auf den Beinen zu halten.
    Täuschte er sich, oder blieben die Valunen, Schatten nur auf den Hängen der schroffen Hügel, stehen und starrten ihn forschend an?
    Luxon nahm sich zusammen und bemühte sich, nicht weiter auf sie zu achten. Die ewige Düsternis, das dunkle, zerklüftete Land, die gelegentlichen unheimlichen Leuchterscheinungen am »Himmel« und die eigene Hilflosigkeit zehrten an seinem Geist und machten ihn krank.
    Er kletterte den schmalen Pfad zu seiner Höhle hinauf und stürzte zweimal, bis er den Eingang erreichte.
    Völlig außer Atem, ließ er sich auf das Lager aus stinkenden Decken und trockenen Gräsern fallen, das die Valunen für ihn hergerichtet hatten.
     
     
    *
     
    Es war nicht so, daß die Valunen ihren neuen Häuptling immer wie einen Gefangenen behandelten – obwohl er es war. Im Gegenteil waren sie ihm zu Diensten, wann immer er einen Wunsch äußerte und er nicht gerade Geschichten erzählen mußte. Wenn sie dem Gehörten für Stunden nachhingen und es sich selbst wie zur Auffrischung gegenseitig noch einmal erzählten, behandelten sie Luxon wie ein rohes Ei. Er erhielt alles, was er begehrte – soweit sich seine Wünsche erfüllen ließen. So gesehen, führte er wahrhaftig das Leben eines Königs, wenn sein Palast auch nur eine Höhle war, die aber mit allerlei kostbaren Dingen
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