Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
um sie ungestört in ihrem Zimmer zu lesen, und wir achteten alle die Privatsphäre des anderen zu sehr, als daß wir diese Briefe jemals erwähnt hätten. Wenn er zu den Roystons nach Carwheal kam, was er jetzt in allen Ferien tat, schaute er immer gleich am ersten Mor gen zuerst bei uns rein. Er behauptete zwar, er wollte uns alle wiedersehen, doch wir wußten, daß er wegen Lalla gekommen war.
    Er besaß inzwischen einen zerbeulten Gebrauchtwagen. Ein weniger selbstloser Mann hätte wohl Lalla abgeholt und wäre mit ihr allein weggefahren, aber Godfrey war viel zu nett und packte immer unseren ganzen Klüngel in sein leidgeprüftes Auto, stopfte Proviant, Handtücher, Schnorchel und allerlei anderen Kram in den Kofferraum und gondelte mit uns mei lenweit zu entfernten Buchten oder in die Berge.
    Dennoch war er nur ein Mensch, und so trollten sich die bei den oft allein und schlenderten ohne uns davon. Wir schauten ihnen nach und ließen sie ziehen, denn wir wußten, in ein bis zwei Stunden würden sie wieder zurückkommen. Lalla mit einem Strauß Wildblumen oder mit ein paar Muscheln in der Hand, Godfrey sonnenverbrannt und mit zerzaustem Haar, und beide lächelten so zufrieden, daß wir das beruhigend fan den, auch wenn wir es nicht ganz verstanden.
     
     
    Lalla war immer eine entschlossene, so selbstbewußte Persön lichkeit gewesen, die an einem einmal gewählten Kurs unbeirrt festhielt, daß wir aus allen Wolken fielen, als sie wankte und schwankte und sich nicht entscheiden konnte, wie sie ihr wei teres Leben gestalten sollte. Sie war mittlerweile beinahe acht zehn, hatte die Abschlußprüfungen hinter sich, und ihre Zu kunft lag vor ihr wie ein neues Land, das man vom Gipfel eines mühsam erklommenen Berges betrachtet.
    Mama wollte, daß sie an die Universität ging, doch Lalla sagte: „Woher weißt du denn, daß ich überhaupt zugelassen werde?“
    „Du wirst problemlos zugelassen. Bei deinem Zeugnis.“
    „Ist das nicht eher eine Zeitverschwendung, wenn ich nicht weiß, was ich nachher mache? Wie soll ich mich denn jetzt schon darauf festlegen, was ich für den Rest meines Lebens machen will? Das ist unmenschlich. Unmöglich.“
    „Aber, Liebling, was möchtest du denn machen?“
    „Das weiß ich nicht. Reisen wahrscheinlich.“
    „Du bist doch noch viel zu jung, du kannst nicht einfach los ziehen und auf einem Kamel durch Indien reiten.“
    „Wer hat denn was von Kamel gesagt?“
    „Na, du weißt schon, was ich meine.“
    „Ich könnte natürlich umwerfend originell sein und einen Schreibmaschinenkurs belegen.“
    „Das würde dir wenigstens ein bißchen Zeit verschaffen, um in Ruhe darüber nachzudenken.“
    Dieses Gespräch fand beim Frühstück statt. Vielleicht wäre es noch endlos weitergegangen, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu führen, wenn nicht, als wir da vor unseren leeren Kaffeetassen saßen, plötzlich der Briefträger gekommen wäre. Wie üblich brachte er einen Packen langweilige Post, aber auch einen großen, quadratischen Umschlag für Lalla. Sie öffnete ihn lustlos, las die gedruckte Karte, die er enthielt, und schnitt eine Grimasse. „0 Gott, wie vornehm! Eine richtige Einla dung zu einem richtigen Ball.“
    „Wie nett“, sagte Mama, während sie versuchte, die Flei scherrechnung zu entziffern. „Von wem?“
    „Von Mrs. Menheniot.“
    Augenblicklich waren wir alle wie aus dem Häuschen, grapschten die Einladung und weideten uns an ihr. Einmal waren wir bei Mrs. Menheniot zum Lunch gewesen. Sie lebte mit Mr. Menheniot und einer ganzen Schar von Menheniot-Sprößlingen in einem wunderschönen Haus am Fal. Aus nicht näher bekannten Gründen waren sie sehr reich. Das Haus war weiß und riesengroß, hatte einen von Säulen getragenen Vorbau, und der Rasen reichte bis zu den Prielen der Flußmündung hinunter.
    „Gehst du hin?“ fragte ich.
    Lalla zuckte die Schultern. „Weiß ich nicht.“
    „Es ist im August. Vielleicht ist Godfrey dann da und du kannst mit ihm hingehen.“
    „In diesem Sommer kommt er nicht her. Er hat einen Job ge funden und muß Geld verdienen, damit er sein Studium am College finanzieren kann.“
    „Wer hat dir das erzählt?“
    „Er“, sagte Lalla, stand auf, ließ die Einladung zwischen Toastkrümeln und leeren Kaffeetassen auf dem Tisch liegen und rauschte hinaus, um eine Ladung Kleider in die Waschma schine zu stopfen.
    Sie konnte sich partout nicht entscheiden, ob sie zu Mrs. Menheniots Ball gehen würde oder nicht, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher