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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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so gut wie unberührt waren. Die größere, die er in der Kapelle gesehen hatte, war im Licht des Tages sogar noch schöner als im Kerzenschein.
    »Herr Kaplan, Gott hat uns zwei Neuzugänge beschert«, verkündete die Äbtissin Bartolommea, nachdem die anderen gegangen waren. »Erlaubt mir, Euch die Novizinnen vorzustellen: Schwester Lucrezia und Schwester Spinetta, die aus Florenz zu uns kamen.«
    Die Novizinnen murmelten, flankiert von den Schwestern Pureza und Camilla, einen scheuen Gruß, Kopf und Blick züchtig gesenkt. Lucrezia musterte die breiten Füße des Mönchs, die in dicken Sandalen steckten, und die grünen und goldenen Farbspritzer am Saum seiner weißen Kutte.
    »Willkommen«, sagte Fra Filippo.
    Er legte eine Hand auf Lucrezias Kopf, die andere auf Spinettas. Lucrezia spürte durch den Stoff ihres Schleiers, wie stark und warm diese Hand war. Fra Filippo gab ihnen seinen Segen und zog seine Hände zurück. Dabei stieg ihm abermals ein feiner Kamillenduft in die Nase.
    »Was für eine Freude, euch bei uns zu haben, Schwester Spinetta, Schwester Lucrezia.« Der Mönch bemerkte die glatten, weichen Hände der jungen Frauen, so ganz anders als die rauen, schwieligen Hände der anderen. Er wünschte, Lucrezia möge den Kopf heben, damit er sie ansehen konnte. »Die braven Schwestern von Santa Margherita werden euch in allem, was zu einem kontemplativen, gottesfürchtigen Leben gehört, gut unterweisen.«
    Die Schwestern nickten.
    »Ich habe …«, stammelte Lucrezia und brach verlegen ab, als sie die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich spürte. Sie wagte nicht, den Blick zu heben. Zögernd hob sie noch einmal an: »Ich habe Euer wunderschönes Gemälde in der Kapelle gesehen, Bruder.«
    Schwester Pureza legte sanft ihre Hand auf die Schulter der jungen Novizin. Sie wusste zwar, wie talentiert der Mönch war, wollte seinen ohnehin überbordenden Stolz aber nicht noch mehr ermuntern.
    »Unsere junge Mitschwester hat heute früh zum ersten Mal Eure Krönung gesehen«, erklärte Schwester Pureza. »So bekam sie eine Ahnung davon, wie reich uns der Allmächtige hier in Santa Margherita beschenkt hat.«
    Fra Filippo war ausnahmsweise einmal um Worte verlegen. »Möge euer Aufenthalt hier gesegnet sein«, meinte er schließlich. »Es ist mir eine Ehre, euer geistlicher Beistand sein zu dürfen.«
    Als er sich zum Gehen wandte, hob Lucrezia den Blick und da sah Fra Filippo, dass ihre Augen so blau waren wie der Himmel über dem Bisenzo-Tal.
    Sie schenkte ihm ein fast unmerkliches Lächeln.
    »Danke, Bruder«, murmelte sie.
    Ihre Lippen bewegten sich, und die Gedanken des Mönchs bekamen Flügel, wurden ins Reich der Phantasie katapultiert, wo seine Malerei begann. Er hörte die Stimme seiner Intuition, die ihn drängte, sich jede Einzelheit ihres Gesichts einzuprägen, die makellose Haut, die vollen Lippen, die fein ausgewogenen Züge, die Komplexität ihres Ausdrucks.
    Die Sexta brach an und immer noch hielt Fra Filippo sich im Kloster auf. Unter dem Vorwand, der Äbtissin bei ihrer Arbeit helfen zu wollen, ließ der Maler, wann immer er es wagte, den Blick heimlich auf Lucrezia ruhen.
    Nach dem Mittagessen fiel ihm beim besten Willen keine Ausrede mehr ein, um noch länger zu verweilen. Raschen Schritts machte er sich auf den Rückweg zu seiner Werkstatt. Seine Umgebung nahm er kaum wahr; vor seinem inneren Auge war das Antlitz der Novizin. Er hatte die Piazza fast erreicht, als er von Gemignano Inghirami, dem Propst des Stefansdoms, angerufen wurde. Da der Propst nur selten das kühle Halbdunkel seiner Kathedrale verließ, hegte Fra Filippo keinen Zweifel daran, dass der Mann extra gekommen war, um ihn zu sehen.
    »Ah, da seid Ihr ja endlich, Bruder«, sagte der Propst ungnädig.
    Fra Filippo beeilte sich, ein freudiges Gesicht aufzusetzen.
    »Guten Morgen und Gottes Segen.« Der Mönch trat der mürrisch verharrenden Gestalt in Rot mit ausgebreiteten Armen entgegen.
    Der Propst war ein dürres, rattenhaftes Kerlchen mit einer Hakennase und scharfen kleinen Augen. Er erwiderte Fra Filippos Überschwang mit der Andeutung eines Lächelns und wich vor der drohenden Umarmung zurück.
    »Ich war gerade in der Kathedrale«, erklärte Inghirami kühl. »Leider scheint es keinerlei Fortschritte zu geben, seit Ihr den Sinopia-Untergrund aufgebracht habt. Und auch auf dem Feinputz, wo Ihr die Szenen aus dem Leben von Johannes dem Täufer vorgesehen habt, ist nicht an den Skizzen weitergearbeitet worden.« Er stieß ein
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