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Das Beste aus meinem Leben

Das Beste aus meinem Leben

Titel: Das Beste aus meinem Leben
Autoren: Axel Hacke
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dieses erträgt. Hält sie sich nicht täglich stundenlang im Wasser auf, dabei Unvergleichliches leistend? Wie kommt es, dass sie nach dem Training nicht sofort noch am Beckenrand ihren Übungsleiter frisst? Wie ist es möglich, dass nach einem Schwimmrennen nicht Teile des Publikums zwischen den Zähnen der Athleten landen, die anders ihres Hungers nicht mehr Herr werden? Bei mir ist es jedenfalls nun so, dass ich nach dreißig Bahnen im Dantebad schon auf dem Weg zur Dusche nicht mehr fähig bin, meinen Appetit zu zähmen: Ich rase zu den Kabinen wie ein tobsüchtiger Velociraptor in Spielbergs Jurassic Park , falle bereits auf dem Weg zu den Duschen zartfleischige Badegäste an und verschmähte kürzlich auch eine muskulöse Bademeisterin nicht, die Widerworte gab, als ich ihr das mitgebrachte Pausenbrot aus der Hand schnappte. Dem Wirt einer nahe der Schwimmanstalt befindlichen Gaststätte bin ich ein lieber Gast, weil ich dreimal die Woche sein gesamtes Speisekartenprogramm verzehre.
    In meinem Hungerschmerz und meiner Gier nehme ich nach jedem Badbesuch ein Vielfaches dessen zu mir, was ich durch die Körperbewegung tatsächlich abarbeite. Die Konsequenz: Ich werde dicker, weil ich schwimme, Schwimmen dient meiner Fettness. Eines Tages, wenn ich sehr viel geschwommen sein werde, werde ich meinen massigen Körper auf den Zehner-Sprungturm hinaufwuchten und mit einem gigantischen Juchhu! hinunterspringen. Die größte Arschbombe der Welt! Das Becken ist wasserfrei danach und mein Lachen fröhlich wie nie, denn ich bin fat for fun.
    Danke, Franzi, für den Tipp!

Woher kommen die Buchstaben?
    B itte, Sie müssen wissen, dass ich aus bescheidenen Verhältnissen stamme. Wir lebten zu fünft in drei Zimmern, die Toilette war auf der Etage, die Mahlzeiten bestanden aus einfachen Gerichten. Aber- und abermals wurde unsere Kleidung mit Flicken ausgebessert, wenn sie beim Spielen zerriss. Später kaufte der Vater ein winziges Haus am Stadtrand, in dem mehr Platz war. Aus dem Garten versorgte die Mutter uns mit Gemüse und Obst. Aber in mancher Hinsicht wurde die Lage noch schwieriger. Die Schulden für das Haus drückten den Vater so, dass er eine zweite Arbeitsstelle annahm und jeden Morgen die Zeitung austrug. Danach ging er ins Postamt, um den Dienst als Schalterbeamter zu versehen.
    Das Schlimmste jedoch war der Buchstabenmangel, der uns in jenen Jahren quälte. Es gab damals eine Reihe von ungewöhnlich langen, kalten, dennoch schneearmen Wintern, unter deren Folgen die Ernte der Buchstaben auf den Feldern rings um die Stadt genauso litt wie die des Weizens, der Gerste, des Roggens. Heute wissen viele Kinder nicht einmal mehr, woher die Buchstaben kommen. Sie denken, sie seien einfach da oder kämen aus der Fabrik, wie ein Glas Milch oder eine Kuh einfach da seien oder aus der Fabrik kämen. Nie haben sie eine Kuh, ein Kornfeld, eine Buchstabenpflanze gesehen.
    Damals herrschte Not. Die Halme blieben spindeldürr, die Buchstabenähren darauf klein. Wenn die Mähdrescher im Sommer über die Felder fuhren, dauerte es doppelt so lange wie in normalen Jahren, bis einer der Wagen hinter den wartenden Traktoren mit Buchstaben gefüllt war. Die Buchstabenpreise stiegen aufs Dreifache. Anfangs konnte Mutter im Buchstabenladen, in dem sie einkaufte, anschreiben lassen. Bald gab der Händler keinen Kredit mehr.
    Wir standen oft am Rand der Äcker, und wenn die Wagen und Dreschmaschinen weggefahren waren, sammelten wir auf dem Stoppelfeld herabgefallene Buchstaben auf, um sie nach Hause zu tragen. An Wochenenden wanderten wir ins Land hinaus und bettelten bei den Buchstabenbauern um einen Korb mit Vokalen oder Konsonanten.
    Nicht selten wurden wir vom Hof gescheucht und kehrten mit leeren Händen zurück. Ich erinnere mich an einen Winter, in dem die Familie fast kein Wort miteinander sprechen konnte. Wir hatten keine Buchstaben mehr, um Wörter zu bilden. Stumm erwachten wir morgens, schweigend saßen wir um den Mittagstisch, wortlos abends im Wohnzimmer. Was hätte man sich zu sagen gehabt, aber es ging nicht! An Weihnachten kratzten die Eltern alle Vorräte zusammen, um wenigstens »Frohes Fest!« zu wünschen. Mutter hatte eine Schwester in Amerika, die dann und wann ein Päckchen schickte, leider mit viel Tiejdsch und Dabbeljuh, aber besser als nichts. Die Antwortbriefe sparten wir uns vom Munde ab. Nie erfuhr jemand, dass mein Vater auf der Post gelegentlich Briefe unterschlug und die Buchstaben mit nach Hause brachte,
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