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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)
Autoren: Lena Klassen
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Angelinas Verwandten, und ihnen das Versprechen abgenommen, Stillschweigen zu bewahren.“
    „Er hat sie dafür bezahlt?“
    „Nein, er hat ihnen weisgemacht, dass Ricardos Leben in Gefahr ist, sobald ich von ihm wüsste. Also haben sie die Wahrheit nicht einmal ihren nächsten Verwandten verraten. Sie haben ihn als angebliches Straßenkind, dessen Eltern unauffindbar seien, adoptiert, und sogar geschwiegen, als sie hergekommen sind. Die Testas sind wirklich Lucas Familie, Alicia. Angelina hatte einem ihrer Cousins die Pizzeria hier im Dorf gekauft, und daher ist es nicht mal ein Zufall, dass irgendwann auch die anderen Verwandten nachgekommen sind.“
    „Aber wenn Papa nicht geschwiegen hätte … vielleicht hätte man Rico noch retten können. Enrico, meine ich. Bekommt er denn jetzt eine richtige Beerdigung?“
    „Das Kutscherhaus ist vollständig abgebrannt“, sagte Onkel Vincent leise. „Das bedeutet … du kannst dir ausmalen, was das heißt.“
    „Aber nein“, widersprach ich. „Ich habe ihn mitgenommen. Er ist im Garten.“
    Er starrte mich an. „Du bist aus einem brennenden Keller geflohen und hast daran gedacht, die Überreste dieses Kindes mitzunehmen? Du bist ein erstaunliches Mädchen, Alicia. Und Luca ist ebenfalls eine Überraschung. Eine wunderbare Überraschung.“ Er küsste mich auf die Stirn. „Erhol dich erst mal richtig. Dann sehen wir weiter. Deine Mutter wartet übrigens draußen. Sie ist völlig außer sich. Vielleicht sollte ich ihr eine Sitzung bei Dr. Weihrauch empfehlen.“
    Ich wagte ein vorsichtiges Grinsen, bei dem mir alles wehtat.
    „Tut mir leid“, sagte ich.
    Onkel Vincent wusste sofort, was ich meinte.
    Er nickte. Sein Lächeln war seltsam verloren und traurig. „Ich wünschte, du hättest mir vertraut“, sagte er. „Aber vielleicht kann ich ja irgendetwas tun, um mir dein Vertrauen zu verdienen.“
    „Sei vorsichtig mit ihm“, flüsterte ich. „Mit Enrico. Ganz vorsichtig. Bitte.“

    Bei der Beerdigung war das ganze Dorf versammelt. Man hatte das Grab von Paul und Angelina Meyrink geöffnet und den kleinen Sarg hinuntergelassen, auf den Sarg seiner Mutter. Luca stand in Schwarz am Grab und sah aus wie Rico, dunkel und blass und ohne zu lächeln. Onkel Vincent hielt respektvoll Abstand. Auch seine Familie ging behutsam mit dem Jungen um, als wüssten sie nicht mehr, ob er noch zu ihnen gehörte. Er schien es selbst nicht mehr zu wissen. Er stand da und war allein, und wieder dachte ich an Rico und mir tat das Herz weh.
    Weiße Rosenblätter schneiten ins Grab wie Schneeflocken, wie die Unschuld eines Kindes.
    Die Rose, die ich mitgebracht hatte, war schwarz. Mir war, als müsste sie nach unten schweben wie ein Rabe, aber sie flog nicht, sondern fiel kopfüber in die Tiefe und blieb auf dem blumengeschmückten Sargdeckel liegen wie ein zu spät gekommener Brief.
    Das ist unser Abschied, dachte ich, aber es fühlte sich nicht so an.
    Mein Vater war aus Rücksicht auf die Angehörigen nicht zur Trauerfeier gekommen, obwohl er sich nichts mehr wünschte, als am Grab seiner Freunde Abbitte zu leisten. Das hatte er mir selbst gesagt. Sabine hatte recht gehabt: Aus Liebe werden schreckliche Taten begangen. Tobias Riebeck hatte seinen Bruder geliebt und deshalb ein Verbrechen vertuscht, das dieser gar nicht begangen hatte. Und dann war ihm klar geworden, was er getan hatte, und er hatte Vincent gehasst.
    „Aber wenn du es so bereut hast“, hatte ich an seinem Krankenbett zu ihm gesagt, „warum hast du später nicht alles aufgeklärt?“
    „Dann hätte ich doch die ganze Geschichte erzählen müssen“, hatte er mir geantwortet. „Vincent wäre ins Gefängnis gekommen, das habe ich jedenfalls geglaubt. Was wäre dann aus der Firma geworden? Image ist alles. Riebeck und Meyrink wäre mit seinem guten Ruf gestorben.“
    „Na und?“, rief ich. „Was zählt das denn!“
    Er sah mich liebevoll an. „Du bist zu jung, um das zu verstehen, Alicia. Das ist die Firma, die du eines Tages erben wirst - nun, jetzt ist es nur noch die Hälfte. Wenn man genug Geld hat, sagt es sich leicht, dass Geld nicht wichtig ist. Du warst unterwegs, als das alles geschah, und ich wollte deine Zukunft gesichert wissen. Ich habe es für dich getan, mein Kind.“
    „Das wollte ich nie“, sagte ich, aber dann dachte ich daran, wie ich damit gezögert hatte, Luca zu verraten, wer er war, und ich schämte mich. „Nein“, sagte ich nochmal, mit Nachdruck, „das will ich nicht.“
    „Tja,
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