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Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Titel: Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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befehlen?«
    Die Herrin seufzte. »Nein, das kann ich nicht. Bei Tage geht es recht gut, doch ich fürchte noch immer die Nächte.«
    Jeanne nickte. »Ich weiß. Du sprichst oft im Schlaf. Von Else redest du und den anderen Frauen und von Meister Thürner, unserem Henker. Vergangene Nacht hast du von einem Ritter von Thann geredet.«
    Fast ein Jahr hatte Elisabeth das Leben der Frauen in
Elses Haus geteilt, nicht wissend, wer sie war und woher sie kam. Und auch nicht, woher der Schlag auf den Kopf gekommen war, der sie für so lange Zeit ihres Gedächtnisses beraubt hatte, bis die Erinnerungen endlich zurückkehrten.
    Elisabeth zog eine Grimasse. »Ja, so manches verfolgt mich, auch wenn ich immer wieder erstaunt feststelle, dass nicht alle Erinnerungen an diese Zeit schlecht sind. Manches Mal ist es fast so, als würde ich die anderen Frauen vermissen.«
    Jeanne lächelte. »Dass selbst du das sagst, die in einem Frauenhaus nichts verloren hatte! Nicht wie wir anderen. Es war unser Schicksal, dass unser Weg uns in Elses Haus brachte.«
    »Nichts im Frauenhaus verloren?«, wiederholte Elisabeth, und ihre Stimme klang bitter. »Nein, nicht im Frauenhaus. Verloren habe ich mein Gedächtnis und damit meine Vergangenheit auf der Marienfestung durch den heimtückischen Anschlag der Männer, die meinem Vater ans Leben wollten.«
    »Die beiden Ritter sind tot, und alles ist jetzt wieder gut«, beschwichtigte Jeanne die Freundin, die nun auch ihre Herrin war.
    »Alles?«, sagte Elisabeth zweifelnd und richtete ihren Blick wieder auf die Burg vor sich, deren Mauern nun über ihnen aufragten und ihre Schatten über die Ostflanke warfen, die wie die Hänge im Norden und Westen steil abfiel. Nur nach Südosten war der Berg über einen mäßig ansteigenden Grat mit Pferd und Wagen zu erreichen. Hier sicherte ein tiefer Graben mit Türmen, Tor und Ziehbrücke den Zugang.
    Die Räder des Wagens rumpelten über die Planken, und die Frauen erhaschten einen Blick in den von Unrat und Morast bedeckten Graben, ehe die Mauern sie umschlossen. Für einen Augenblick schwebten die Spitzen eines aufgezogenen Fallgitters über den Pferden und der Kutsche, dann fuhren die Reisenden in den Hof ein. Der Ruf des Kutschers ertönte,
und die vier kräftigen Braunen kamen zum Stehen. Kurz darauf wurde der Wagenschlag aufgerissen, und der Kutscher half Elisabeth beim Aussteigen. Jeanne raffte ihre Röcke und kletterte hinterher. Staunend sah sie sich um.
    »Bleib du bei unseren Kisten und sieh, wohin man sie bringt. Ich weiß nicht, wo unser Gemach sein wird«, wies Elisabeth sie an. Jeanne knickste und senkte den Blick.
    »Jawohl, Herrin, wie Ihr wünscht«, sagte sie artig, wie sie es immer tat, wenn die beiden Frauen nicht alleine waren. Elisabeth fand zwar, dass sie es ein wenig übertrieb, Jeanne aber blieb dabei. Ob das Verhältnis zwischen Herrin und Kammermädchen so ihren Vorstellungen entsprach oder ob sie es sich irgendwo abgesehen hatte, wusste Elisabeth nicht. Und vielleicht war es ja ganz gut so, dass Jeanne darauf achtete, dass sie sich unter den scharfen Augen ihrer Umgebung so verhielten, wie man es von ihnen erwarten durfte. Ein zu vertraulicher Umgang mit ihren Mägden wäre ihrem eh schon ein wenig angeschlagenen Ruf vielleicht abträglich gewesen. Also erwiderte Elisabeth die Worte nur mit einem knappen Nicken und ließ Jeanne bei ihrem Gepäck zurück, während sie selbst dem Diener folgte, der sie die Stufen zum Palas hinauf und zu ihrem Vater brachte, dem von seinen Regierungsgeschäften abgesetzten Würzburger Fürstbischof Johann II. von Brunn.
     
    »Sieht sie nicht ganz wunderbar aus, die Jungfrau Elisabeth, Eure liebreizende Tochter, verehrter Herr … ah … ich meine natürlich Eure bischöfliche Gnaden.«
    Wieder einmal spürte Elisabeth den Drang, sich unter dem spöttischen Blick des Hofnarren zu ducken, doch sie unterdrückte ihn und richtete sich stattdessen noch ein wenig stolzer in ihrem Scherenstuhl auf.
    Friedlein war für einen Mann ein wenig klein gewachsen, gar einige Zoll kleiner als Elisabeth, dafür von kräftigerem Körperbau. Sein linkes Bein war ein wenig kürzer als das andere
und zwang ihn zu einem hinkenden Gang, sein Gesicht, das von dunklem, fast schwarzem Haar umrahmt wurde, wirkte irgendwie schief. Die grünen Augen dagegen sahen hell und klar in die Welt und sandten einen solch intensiven Blick aus, dass man ihm nur schwer standhalten konnte.
    Er war ein intelligenter Mann, wortgewandt und
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