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Das Amulett der Pilgerin - Roman

Titel: Das Amulett der Pilgerin - Roman
Autoren: Laura Bastian
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abkaufen würde, aber Julian wollte das Risiko nicht eingehen.
    »Gut, wenn Sie unbedingt hierbleiben wollen.« Er drehte sich um und war so schnell aus dem Fenster geklettert, dass Marguerite ihn nicht daran hindern konnte. Sein Zimmer lag im ersten Stock, aber direkt darunter war das Vordach der Eingangshalle. Von dort war der Sprung in den Hof nicht gefährlich. Als er sich umdrehte, sah er sie am Fenster stehen, eine Hand zur Faust geballt. Zum Teufel, genau so eine Situation hatte er vermeiden wollen, dachte Julian, als er in Richtung Stall ging, um das Lager mit seinem Pferd zu teilen.

• 4 •
    E s war der dritte Tag nach ihrer Rettung, und Viviana saß draußen an der dem Meer abgewandten Seite der Schenke. Die Hauswand in ihrem Rücken war warm, und sie blinzelte in die Sonne. Neben sich hörte sie die Bienen in den wilden Rosen summen und hoch am strahlend blauen Himmel das Schreien der Möwen. Die Luft roch in dieser warmen, windstillen Ecke aromatisch nach Salz und Tang. Nachdenklich grub sie mit ihren nackten Füßen im feinen Sand. Niemand schien sie zu vermissen, es gab keinerlei Hinweise darauf, wo sie hergekommen sein könnte, und sie konnte sich noch immer an nichts erinnern. Der weiße Sand rieselte zwischen ihren braunen Zehen hindurch und über ihre blassrosa Nägel. Dies waren nicht die Füße einer Frau, die lange Wege barfuß oder in schlechtem Schuhwerk gegangen war. Wer war sie? Eines stand fest: Sie konnte hier nicht bleiben. Aber sie wusste auch nicht, was zu tun war. Sie hatte kein Geld. Das dringendste Problem war, irgendwie ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ehe sie überhaupt daran denken konnte, Nachforschungen anzustellen. Für die Männer im Dorf war sie wie Freiwild, und wenn Gott ihr nicht den Spanier als Freund geschickt hätte, wäre es schlecht um sie bestellt. Eine mittellose Frau und ganz allein, das war eine leichte Beute. Rinaldo hatte seinen Aufbruch nach Saint Albans verschoben, um hier mit ihr eine Weile abzuwarten. Aber keiner hatte nach ihr gefragt, und sie wusste, dass er bald weiterziehen wollte. Ihre Füße schoben den Sand zu einem kleinen Wall zusammen. Wenn Rinaldo ginge, wäre sie völlig schutzlos.
    »Ein schöner Tag.«
    Viviana blickte auf. Der Spanier kam auf sie zu.
    »Ja, es ist wunderschön.«
    Rinaldo räusperte sich.
    »Viviana, wie du weißt, habe ich einen Eid geschworen, diese Pilgerfahrt zu machen. Wenn das nicht so wäre, könnte ich hier noch länger mit dir abwarten.« Er räusperte sich wieder. »Ich kann dich aber auch nicht einfach hier zurücklassen.«
    Viviana wollte etwas sagen, aber er machte eine Handbewegung und sprach weiter.
    »Ich habe nachgedacht. Gott hat uns sicher nicht grundlos hier zusammengeführt, und wenn du mit mir nach Saint Albans gingest, wird der Heilige dir vielleicht dein Gedächtnis zurückgeben.«
    »Du willst mich mitnehmen?«
    »Ich kann verstehen, wenn du nicht möchtest.«
    »Doch, doch. Aber ich habe nichts, womit ich die Reise bezahlen könnte.«
    »Wenn wir uns einschränken, wird das Geld bestimmt reichen.«
    »Ich komme sehr gerne mit, und ich werde auch sicher einen Weg finden, dir alles zurückzuzahlen.« Impulsiv griff sie nach seiner großen Hand und drückte sie dankbar.
    Der Spanier war hocherfreut und machte ganz den Eindruck, als würde sie ihm und nicht umgekehrt einen Gefallen tun.
    »Gut, dann gebe ich der Wirtin Bescheid, dass wir morgen abreisen.«
    Viviana sah ihm nach. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass Rinaldo befürchtet haben könnte, sie würde sein Angebot ablehnen. Seine merkwürdige Erscheinung machte ihn zu einem Außenseiter, dem oft mit Spott oder Ablehnung begegnet wurde. Vielleicht brauchte auch er genau wie sie einen Freund. Viviana schloss die Augen und sog die Meeresluft tief in sich hinein. Es war sehr seltsam, sie hatte keinen Besitz, keine Vorstellung von ihrer Zukunft, und sie kannte nicht einmal ihren richtigen Namen, aber in diesem Augenblick hier in der Sonne hinter den Dünen fühlte Viviana einen tiefen Frieden. Ihr dringendstes Problem hatte sich vorerst gelöst, und durch die Eindrücke einer Reise würde sie sicher auch den Schlüssel zu ihrem Gedächtnis wiederfinden.
    Früh am nächsten Morgen standen sie in der Diele und verabschiedeten sich von Trudy. Die Wirtin hatte einen fadenscheinigen Umhang und ein Paar löchrige Schuhe für Viviana aufgetan, die zwar etwas zu groß waren, aber definitiv besser als keine. Rinaldo hatte seine Rechnung bezahlt
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