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Das Amulett der Pilgerin - Roman

Titel: Das Amulett der Pilgerin - Roman
Autoren: Laura Bastian
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Simeon brach in Gelächter aus. Julian setzte seinen Weg fort.
    »Willst du heute Abend zum Essen kommen? Wir haben eines der Schweine geschlachtet, und Janet macht Braten. Wir haben genug.«
    »Das hört man einen Vater von fünf Kindern auch nicht so oft sagen.«
    »Stimmt, du solltest also diese seltene Gelegenheit auf jeden Fall nutzen, Julian.«
    »Ich komme nur, wenn Janet nicht wieder eine passende Braut für mich eingeladen hat!«
    »Keine Sorge, so viel Braten ist auch wieder nicht da.«
    Sie hatten die Stallungen erreicht, und Julian rief nach dem Knecht. Kurz darauf führte der Stalljunge einen kräftigen Dunkelfuchs ins Freie. Julian nahm die Zügel und schwang sich in den Sattel.
    »Bis heute Abend dann.«
    Simeon blickte Julian nach, als er vom Hof ritt. Er teilte die Ansicht seiner Frau Janet, die fand, dass Julian White endlich wieder heiraten sollte. Julian war ein gut aussehender Mann mit großartigen beruflichen Möglichkeiten. Er war der jüngere Sohn eines niederen Landadeligen. Durch Ehrgeiz und Geschick hatte er es im Dienst der Krone schnell weit gebracht. Julian war ausgesprochen intelligent und wissensdurstig. Er konnte lesen und schreiben, sprach mehrere Sprachen und hatte sich ein umfassendes Wissen angelesen. Außerdem hatte er geschliffene Manieren und konnte sich auch auf dem glatten Parkett des Königshofes sicher bewegen. Seiner bescheidenen Herkunft war er bereits um Längen entwachsen, und doch legte er auf seine soziale Stellung nur dann Wert, wenn es ihm für seine Arbeit dienlich war. Und seine Arbeit schien das Einzige zu sein, das Julian interessierte, seitdem seine Frau Aelia vor sechs Jahren spurlos verschwunden war. Ausgerechnet diese Angelegenheit hatte er nicht aufklären können. Simeon fragte sich, als er schließlich ebenfalls auf sein Pferd stieg und sich auf den Heimweg machte, ob Julian nicht doch heimlich immer noch nach ihr suchte.
    Vom nahe gelegenen Anwesen des Kardinals war Julian nach Westminster geritten, um am Königshof die letzten Details seiner Reise nach Devon zu besprechen. Die eigentliche Organisation wurde von einem der königlichen Reisemarschälle übernommen, aber Julian war letztendlich für die Sicherheit von Miss Marguerite verantwortlich, und daher hatte er nicht nur die Planung, sondern auch die einzelnen Personen der Eskorte genauestens überprüfen wollen. Nichts wäre seiner Karriere weniger förderlich, als wenn er versehentlich eine Gespielin König Henrys verlieren würde. Die ganze Angelegenheit hatte wie immer länger gedauert als nötig, und er war jetzt hungrig und wollte London erreichen, ehe die Stadttore schlossen und er mit der Wache herumdiskutieren musste. Es dämmerte bereits, und er konnte aus der Entfernung die Lichter der großen Stadt sehen. London sprengte bald seine Festungsmauern, denn die Stadt war Anziehungspunkt für Handwerker und Händler und für alle, die auf der Suche nach ihrem Glück waren. Entlaufene Leibeigene konnten, wenn sie ein Auskommen fanden, nach einem Jahr die Freiheit erlangen. Aber natürlich kamen auch zahlreiche Diebe und Halsabschneider, und die Verbrechensrate war hoch. Das war jedoch das Problem der Londoner Bürgerschaft und nicht Julians, der ausschließlich die Interessen König Henrys vertrat. Er würde Simeons Hilfe in Anspruch nehmen müssen, um den nichtsnutzigen Kerl zu finden, der mit den wenigen Einnahmen eines kleinen Kronguts bei Reading nach London durchgebrannt war. Es war nur eine geringfügige Summe, da der Handel auf dem Land fast immer noch ausschließlich in Sachwerten und Naturalien stattfand. Aber der Mann hatte den König bestohlen, und darauf stand üblicherweise die Todesstrafe.
    »Sir, bitte eine milde Gabe für eine arme, alte Frau.«
    Am Straßenrand stand eine gebeugte, in Lumpen gehüllte Person und streckte die Hand aus. Julian hielt sein Pferd an und blickte auf die ausgestreckte Hand.
    »Bitte eine kleine Gabe, Gott wird es vergelten«, wiederholte die weinerliche Stimme.
    »Wird Gott dir auch vergelten, dass du die Mildtätigkeit deiner Mitmenschen ausnutzt?«
    Die zerlumpte Gestalt wurde plötzlich steif, und das Gesicht, das sich Julian nun zuwandte, war erstaunlich jung. Es war das schmutzige, blasse Gesicht eines Jungen von etwa zehn Jahren. Julian wartete darauf, dass der kleine Betrüger schnell das Weite suchen würde, aber er stand regungslos da und blickte ihn furchtsam an.
    »Willst du hier etwa stehen bleiben, bis der Nächste des Weges kommt, den du
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