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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael
Autoren: Garth Nix
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als ihr bewusst wurde, dass der schwarze Punkt, den sie hoch über sich bemerkt hatte, weder Einbildung noch eine winzige Gewitterwolke war: Es war ein Papiersegler, der offenbar zur Landung ansetzte.
    Zugleich hörte sie das tiefe Rumpeln, als das Sternenberg-Tor aufschwang. Sie drehte sich um, sah zum Tor, blickte dann zum Papiersegler hinauf, dann wieder zum Tor. Was sollte sie tun?
    Sie konnte über die Terrasse laufen und sich hinunterstürzen, aber ihr stand nicht mehr der Sinn danach. Ihre tiefste Verzweiflung war überwunden.
    Sollte sie zusehen, wie der Segler landete? Das aber brachte ihr mit Sicherheit heftige Schelte von Tante Kirrith ein, ganz zu schweigen von mehreren Monaten zusätzlicher Küchenarbeit, wenn nicht gar eine noch schlimmere Bestrafung. Auf der anderen Seite hatte sie immer schon beobachten wollen, wie ein Papiersegler landete.
    Sie brauchte nicht lange, um sich zu entscheiden. Lirael rannte zu einer Schneewehe, setzte sich hinein und machte sich daran, gefrorene Schneeplatten über sich zu ziehen, um sich zu verstecken. Bald war sie fast völlig verborgen; nur ihre Fußspuren, die zum Versteck führten, waren noch zu sehen.
    Schnell rief sie sich die Charter vor Augen und griff in deren unablässige Strömung, um die drei Zeichen herauszuziehen, die sie brauchte. Eines nach dem anderen leuchtete immer heller in ihrem Kopf und erfüllte ihre Sinne, bis sie an nichts anderes mehr denken konnte. Dann öffnete sie leicht den Mund und blies die Charterzeichen zu den Fußspuren im Schnee.
    Der Zauber verließ sie als wirbelnder Ball gefrorenen Atems, der wuchs, bis er eine Armeslänge breit war, plötzlich über ihren Pfad wehte und sämtliche Spuren verwischte. Dann ließ der Ball sich vom Wind packen und löste sich unversehens in nichts auf.
    Lirael blickte hoch und hoffte, dass der Flieger des Papierseglers die seltsame kleine Wolke nicht bemerkt hatte. Der Segler war jetzt näher. Der Schatten seiner Schwingen fiel auf die Terrasse, als er noch einmal kreiste und dabei immer tiefer ging.
    Lirael blinzelte. Ihr Blick war durch die Brille und den Schnee behindert, der ihr ins Gesicht gerieselt war. Sie konnte nicht genau sehen, wer in dem Papiersegler saß, der von einer anderen Farbe war als die der Clayr – Rot und Gold, die Farben des Königshauses. Ein Kurier vielleicht? Es gab einen regulären Kurierdienst zwischen dem König in Belisaere und den Clayr; Lirael hatte oft Kuriere im Unteren Refektorium gesehen. Doch sie kamen normalerweise nicht mit Papierseglern.
    Einige wohlklingende magische Pfeiftöne schwebten zu Lirael herunter, und einen Augenblick lang war ihr, als würde sie selbst vom Wind getragen. Dann sah sie, wie der Papiersegler wieder ein Stück tiefer ging, noch einmal über der Terrasse kreiste und schließlich zur Landung ansetzte – viel zu nahe an ihrem Versteck, wie Lirael fand.
    Zwei Personen kletterten müde aus dem Cockpit und streckten Arme und Beine. Beide waren so dick in Pelz vermummt, dass Lirael nicht erkennen konnte, ob es Männer oder Frauen waren. Clayr waren sie jedenfalls nicht – nicht in dieser Kleidung, da war Lirael sicher. Einer trug einen Rock aus schwarzem und silbernem Marderfell, der andere einen aus rotbraunem Pelz. Ihre Brillengläser waren blau, nicht grün.
    Die Gestalt in dem rotbraunen Pelz langte ins Cockpit und zog zwei Degen heraus. Lirael glaubte, er – sie war jetzt sicher, dass es ein Er war – würde der anderen Person einen der Degen geben, doch er schnallte beide Waffen an seinen breiten Ledergürtel, die eine an seine linke Seite, die andere an seine rechte.
    Die zweite Person – jene in Schwarz und Silber – war wohl eine Frau; die Bewegungen, wie sie aus einem Handschuh schlüpfte und die Hand dann auf die Nase des Papierseglers legte, ganz wie eine Mutter, welche die Temperatur eines Kindes an der Stirn misst, ließ jedenfalls darauf schließen.
    Dann griff die Frau ins Cockpit und zog ein ledernes Bandelier heraus. Lirael hob den Kopf, um besser sehen zu können, ohne den Schnee zu beachten, der ihr dabei in den Kragen rutschte. Beinahe hätte sie laut nach Luft geschnappt und sich verraten, als sie erkannte, was sich in den Beuteln am Bandelier befand. Es waren insgesamt sieben Beutel – der kleinste von der Größe einer Pillenschachtel, der größte so lang und breit wie ihre Hand. Aus jedem ragte ein Mahagonigriff heraus. Es waren die Griffe von Glocken, deren Stimmen vom Leder erstickt wurden. Wer immer diese
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